Der Ruf der Kiwis
Sonne, das Meer lag glänzend blau und ruhig wie ein Spiegel da, und die wunderschöne Küste Albanys grüßte herüber. Schließlich gaben auch die Männer in der Festung ihrer Begeisterung Ausdruck und feuerten Salut.
Roly, Greg und Bobby winkten strahlend. Doch in den Augen anderer Männer, vor allem der Australier, die hier einen letzten Blick auf ihre Heimat warfen, standen auch Tränen der Rührung.
Jack empfand ein unbestimmtes Gefühl der Erleichterung. Er hatte alles hinter sich lassen wollen, und jetzt war es endlich so weit. Er wandte sich vom Land ab und blickte ins Ungewisse.
Die Reise verlief vorerst ereignislos für die Soldaten. Das Wetter blieb beständig, das Meer ruhig. Das Jahr 1915, das die Männer in Albany begrüßt hatten, ließ sich gut an. Die Rekruten gerieten in Aufregung, als sich die
Sydney
auf Höhe der Cocos-Inseln vom Konvoi trennte. Erst Tage später kehrte sie zurück, und Roly berichtete Jack mit glänzenden Augen von der ersten »Feindberührung« des ANZAC. Tatsächlich hatte die
Sydney
das deutsche Schlachtschiff
Emden
in Keeling Island zum Anlanden gezwungen und zerstört. Das Ereignis wurde mit Hochrufen und auch dem einen oder anderen erneuten Alkoholexzess gefeiert. Die Männer hatten ihre Vorräte in Australien aufgefüllt, und der junge Lieutenant Keeler war noch weit davon entfernt, seine Truppe wirklich im Griff zu haben. Roly und seine Freunde blieben diesmal allerdings nüchtern – ihr Geld hatte schlicht nicht gereicht, den schnell knapp gewordenen und infolgedessen überteuerten Schnaps in Albany zu erstehen.
Diesmal hüteten Jack und Roly sich auch vor zu frühem Verlassen der Schlafräume, obwohl die Luft darin wieder einmal zum Schneiden war. Über dem Meer lag brütende Hitze, und kein Lüftchen wehte – ein Segelschiff wäre zu wochenlanger Bewegungslosigkeit verdammt gewesen. Die Dampfschiffe kamen bei der ruhigen See dagegen umso schneller vorwärts, doch die Männer in den vollgestopften Kajüten litten, und noch mehr die Pferde der Kavallerietransporte. Jack war froh über seine Entscheidung, Anwyl diesen Strapazen nicht ausgesetzt zu haben; andererseits beneidete er die Männer auf den Schiffen um den Kontakt mit den Tieren. Jack sehnte sich nach dem Duft von Pferdeschweiß und Heu anstelle des Gestanks ungewaschener Männerkörper. Er selbst und einige andere wuschen sich mit Salzwasser, woraufhin sie sich zwar besser fühlten, später aber mit Hautreizungen dafür bezahlten.
Und dann, nach einigen Tagen auf See, rief Lieutenant Keeler seine Männer an Deck. Er hätte, so verkündete er im Vorfeld, eine wichtige Mitteilung zu machen. Die Versammlung gestaltete sich dann natürlich als schwierig, wie Jack gleich erahnte. Alle achthundert Leute passten nicht an Deck, machten einander den knappen Platz jedoch streitig. Außerdem war Lieutenant Keelers Stimme für die weiter entfernten Männer kaum zu vernehmen. Schließlich vergingen Stunden mit Streit und Protesten, bis endlich auch der letzte Rekrut über die Neuigkeiten informiert war: Die Türkei hatte England den Krieg erklärt, und die britische Führung hatte sich daraufhin entschlossen, die ANZAC-Streitkräfte nicht nach Frankreich zu befördern. Stattdessen würde man sie im Bereich der Dardanellenstraße einsetzen.
»Was für eine Straße?«, fragte Roly verwirrt.
Jack zuckte die Achseln. Auch ihm war die Geografie des südöstlichen Europa völlig fremd.
»Die Ausbildung vor dem Kampfeinsatz«, erklärte der Lieutenant, »wird in Ägypten stattfinden. Nach einem Zwischenstopp in Colombo steuern wir Alexandria an.«
Von Alexandria hatte Jack zumindest schon einmal gehört, im Gegensatz zu Colombo. Er musste sich erst durchfragen, um herauszufinden, dass die Stadt auf Ceylon lag, einer grünen, tropischen Insel im Indischen Ozean.
»Bekannt durch ihren Teeanbau«, dozierte Lieutenant Keeler, der Jack gegenüber inzwischen deutlich gnädiger eingestellt war. Er hatte längst bemerkt, dass der rothaarige Viehzüchter aus den Plains nicht nur etwas älter, sondern auch gebildeter und gelassener war als die Mehrzahl seiner Männer. »Aber machen Sie sich keine Hoffnung auf Landgang, McKenzie. Wir nehmen nur Verpflegung auf.«
Tatsächlich ankerte die Flotte des ANZAC lediglich kurze Zeit im Hafen, und Roly zählte aufgeregt die dort liegenden Schiffe aller möglichen Nationalitäten. Von Ceylon selbst sahen sie nur die grüne Küste und die Silhouette einer kleinen, durch den
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