Der Ruf der Kiwis
Ende ist, will ich Sie beide in meinem Zelt sehen!« Major Hollander wandte sich noch kurz an Keeler und Roly; dann warf er sich in die Schlacht.
Die ANZACs feuerten jetzt mit aller Kraft, unterstützt von der Artillerie. In den türkischen Gräben wurde es ruhiger. Dennoch schien es den Männern endlos zu dauern, bis endlich die Nacht hereinbrach und das Feuer abebbte. Die gefährlichste Zeit waren die Morgen- und Abendstunden. Das Zwielicht bot mehr Deckung als der helle Tag. Tagsüber war es meist ruhig, und nachts beschränkten sich beide Seiten auf gelegentliches Störfeuer.
Jack und seine Leute wurden hinter die Linien zurückbeordert. Im Hauptkampfgraben verblieb nur eine kleine Besetzung. Vor allem war nun jedoch die Zeit der Bergungstrupps. Sie sammelten Verwundete und Tote ein. Bobby O’Mally erbrach sich, als er die zerfetzten Körperteile der Männer sah, die nur wenige Meter hinter ihnen gearbeitet hatten. Lieutenant Keeler war leicht verwundet. Roly versorgte den Streifschuss an seinem Arm mit Teebaumöl und Verbänden.
»Das machen Sie ja gut, Lance Corporal«, brummte der Lieutenant. »Aber das da vorhin ...«
»Der Major wird ihn doch nicht wirklich vor ein Kriegsgericht stellen?« Jack machte sich Sorgen.
Keeler schüttelte den Kopf. »Nee, glaub ich nicht. So eine Panikattacke bei der ersten Feindberührung ... das kann vorkommen. Zumal er ja hinterher ganz tapfer gekämpft hat. Sein Pech war, dem Major in die Arme zu laufen. Irgendwas wird der sich jetzt ausdenken. Lassen Sie mal den Kopf nicht hängen, Staff Corporal O’Brien. Der Major ist ein Heißsporn, aber er beruhigt sich auch wieder. Und nun los, bringen wir’s hinter uns.«
Die Zelte der Offiziere lagen am Strand, wobei es einige immer noch vorzogen, auf den Schiffen zu nächtigen. Major Hollander war jedoch ein altes Frontschwein. Er ließ seine Männer nicht allein. Und sicher hatte er vorher schon Panikattacken erlebt.
Jack versuchte, sich auszuruhen und nicht an Roly und Keeler zu denken, aber er atmete doch erst auf, als Roly wohlbehalten zurück war. Wie fast immer hielt er sich außerhalb des Bunkers, in dem seine Freunde kampierten.
»Der Major hat uns natürlich gerüffelt«, erzählte Roly. »Aber sonst war’s nicht schlimm. Wir sollen uns nur zu so einem Einsatz freiwillig melden ... geht morgen los, sie schicken ein paar Regimenter nach Cape Helles, wo die Engländer gelandet sind.«
»Mit dem Schiff?«, fragte Jack.
Roly schüttelte den Kopf. »Über Land. Wir sollen den Türken in den Rücken fallen und irgendeinen Berg erobern ...«
Greg grinste. »Klingt nach Abenteuer! Los, Bobby, wir melden uns auch!«
Roly lächelte hoffnungsvoll. »Und Sie, Mr. Jack?«, fragte er.
»Nur ›Jack‹. Ich weiß nicht, Roly ...«
»Nun sei mal kein Frosch, Corporal!« Bobby lachte. »Womöglich biste Sergeant, wenn wir zurückkommen.«
»Mich haben sie degla ... degra ... jedenfalls bin ich wieder nur Private«, meinte Roly bedauernd.
»Wenn du jetzt diesen Berg eroberst, wirst du General!«, erklärte Greg aufmunternd. »Und wir kriegen das Victoria-Kreuz. Kommt jetzt, wir gehen zu Keeler!« Er stand von der Pritsche auf, zog seine Uniformjacke über, um schneidig aufzutreten, und suchte seinen Hut. »Los, Bobby! Und du willst doch nicht kneifen, Jack!«
Jack wusste nicht, was er sagen sollte. Er meinte, die Stimme seiner Mutter zu hören: »Du ziehst in den Krieg, um Gott zu versuchen!« Vielleicht hatte Gwyneira Recht gehabt. Aber spätestens seit er an diesem Tag im Feuer der Türken gestanden und blind in den Rauch und das Mündungsfeuer der anderen Seite gefeuert hatte, wusste er, dass er den Tod nicht suchte. Bislang fand er auch nichts Heroisches an diesem Krieg, und er konnte die Türken nicht hassen. Sie verteidigten ihr Land, getrieben von Bündnissen mit einem Volk, das sie nicht kannten, gegen Truppen, die für eine Nation kämpften, die sie eigentlich auch nicht kannten. Jack erschien all das unsinnig, unwirklich fast. Aber natürlich würde er seine Pflicht erfüllen und seinen Mann stehen, wohin man ihn auch immer beorderte. Nach Cape Helles zog ihn jedoch nichts.
»Kommen Sie doch mit, Mr. Jack«, meinte Roly. »Ich werde auch ganz tapfer sein. Weil so ein Berg ... ein Berg ist nicht so schlimm ...«
Jack zog schließlich unwillig mit den Männern. Er empfand Roly gegenüber ein vages Pflichtgefühl. Aus ihm unerfindlichen Gründen hatte er das Bedürfnis, den Mann zu beschützen. So trottete er
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