Der Ruf der Kiwis
hinter den dreien durch die Gräben nach hinten. Lieutenant Keeler bewohnte einen Bunker hinter den Linien. Er war eben dabei, seine Sachen zu packen.
»Der auch?«, fragte Jack Roly.
Roly nickte. »Er soll einen Zug befehligen. Der Lieutenant von der Dritten Division ist wohl heute gefallen.«
Greg salutierte schneidig. Keeler sah ihn müde an.
»Gibt’s irgendwas?«, fragte er unwillig.
Bobby O’Mally brachte mit stolzer Stimme ihr Anliegen vor. »Wir wollen endlich kämpfen, Sir!«, erklärte er. »Dem Feind Auge in Auge gegenüberstehen!«
Wie Jack es verstanden hatte, sollten sie den Türken wohl eher in den Rücken fallen. Aber er sagte nichts dazu, und auch Lieutenant Keeler schien fast ungläubig. Er sah von einem der Männer zum anderen und schien kurz zu überlegen.
»Ihr beiden ...«, er wies auf Greg und Bobby, »... von mir aus. Sie nicht, McKenzie!«
Jack fuhr auf. »Warum nicht, Sir? Trauen Sie mir nicht zu, dass ...«
Keeler machte eine abwehrende Handbewegung. »Das hat mit Zutrauen nichts zu tun. Aber Sie sind Corporal, McKenzie, und Sie haben Ihren Zug hier gut im Griff. Sie sind unentbehrlich.«
Irgendetwas in seinem Gesicht ließ Jack jede Erwiderung herunterschlucken.
»Aber es sind doch nur zwei oder drei Tage!«, meinte Roly.
Keeler schien antworten zu wollen, unterließ es dann aber. Jack meinte, seine Gedanken zu lesen. Und er erinnerte sich vage an die Karten, die man ihnen vor der Landung gezeigt hatte. Die Eroberung der Höhe, die man beschönigend »Baby 700« nannte, war ein Himmelfahrtskommando.
»Man kann überall sterben«, sagte Jack leise.
Keeler atmete tief durch. »Man kann auch überleben, und genau das werden wir! Bei Tagesanbruch marschieren wir, Jungs! Und Sie, McKenzie, bessern die Gräben aus, die heute beschossen wurden. Es ist lebenswichtig, dass die Hauptkampflinie befestigt wird, also machen Sie Ihren Leuten Dampf! Wegtreten!«
6
Roly und seine Freunde brachen im Dämmerlicht auf. Jack hörte Lärm, Gelächter und mehr oder weniger vergnügte Abschiedsworte. Die in den Gräben verbleibenden Männer schienen die abgeordneten Kampfgruppen fast zu beneiden. Viele von ihnen wiederholten die alten Klagen über ihre »Maulwurfstätigkeit«, während die anderen auf Abenteuer hoffen konnten.
Es sollte vier Tage dauern, bis Jack wieder von den Kämpfern um Cape Helles hörte, aber er hatte zwischendurch kaum Zeit, sich Sorgen darum zu machen. Major Hollander und die weitere englische Führung setzten die Grabenkolonnen massiv unter Druck.
»Die Türken ziehen Truppen zusammen, sie kriegen Verstärkung. Mit einer Gegenoffensive ist jeden Tag zu rechnen. Die Befestigung muss stehen!«
Am vierten Tag wankte Jack todmüde und mit wunden Fingern in seine Unterkunft. Sie hatten den ganzen Tag damit verbracht, die endlich fertigen Schützengräben mit Stacheldraht zu sichern, und in seinem Sektor hatte Jack die Hauptarbeit übernommen. Im Gegensatz zu den Bergleuten kannte er Stacheldraht von der Farmarbeit – er hasste ihn, aber es war die effektivste Art, Rinderweiden einzuzäunen. Allerdings war er bislang nie dabei beschossen worden ... Er beschloss, sich die in den letzten Tagen gesammelte Alkoholration an diesem Abend zu gönnen. Es gab ein kleines Glas Branntwein am Tag, und Jack, der selten allein trank, hatte seinen Schnaps seit Rolys Weggang nicht angerührt.
»Corporal McKenzie?«
Jack erhob sich mühsam von seiner Pritsche, als er Stimmen von draußen hörte. Die Männer hatten eine Plane vor ihren Unterstand gehängt, um wenigstens den Anschein von Privatsphäre zu genießen und halbwegs ruhig schlafen zu können, wann immer sie Gelegenheit dazu fanden. Im Grabensystem war schließlich Tag und Nacht etwas los, und gerade an diesem Abend trat längst noch keine Ruhe ein. In manchen Abschnitten war das Feuer in der Dämmerung so stark gewesen, dass die Bergungstrupps nicht zu den Verwundeten durchkamen. Jetzt, da es endlich dunkel war, eilten sie mit Lasttieren und Tragen durch die Gänge. Auch der junge Mann, der vor Jacks Unterkunft stand, trug die Uniform der Feldsanitäter.
»Wir sollen Ihnen den hier vorbeibringen«, erklärte er und schob den völlig verdreckten, nur noch in Lumpen gekleideten Roly O’Brien in den Unterstand. Roly wehrte sich, allerdings ziemlich schwach. Jack machte einen Schritt nach draußen.
»Sagt wer?«, fragte er tonlos.
»Sein Lieutenant. Keeler. Der liegt bei uns im Lazarett, und der Junge irrte da halt auch
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