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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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rum. Er hat den Lieutenant gegen Abend ins Lager geschleift. Wahrscheinlich hat er ihm das Leben gerettet, allein hätt er’s kaum über die Klippen geschafft. Aber danach ... völlig durch den Wind, der Junge, kennt kaum noch seinen Namen ...«
    »Bobby ...«, sagte Roly leise.
    »Da hören Sie’s, Corporal, tatsächlich heißt er ›Roland‹. Beeston hat’s nachgesehen. Weil sich die Namen schon sehr ähnelten. O’Brien und O’Mally. Aber O’Mally ist gefallen. Das hier ist O’Brien ...«
    Roly schluchzte. Jack legte den Arm um ihn.
    »Vielen Dank, Sergeant. Ich kümmere mich um ihn. Was ... was hat denn der Lieutenant?«
    Der Sanitäter zuckte die Schultern. »Bin nicht sicher, ich bin bei der Bergung, die Pflege machen andere. Aber ich glaub ... ich glaub, Beeston wird ihm heute Nacht noch den Arm abnehmen ...«
    Jack schluckte. Dann zog er Roly nach drinnen und entzündete die Gaslampe, was eigentlich nur in Notfällen erlaubt war. Die Türken sollten den Verlauf der englischen Gräben nicht am Licht erkennen können. Andererseits waren immer Teile des Grabensystems beleuchtet. Jack beschloss, dass der Notfall gegeben war.
    »Bobby ist tot«, flüsterte Roly. »Und Greg ... Sie haben ihm die Beine abgeschossen. Eins ... eins von diesen neuen Gewehren, die so unsäglich schnell schießen. Rattattat ... und eine Kugel neben der anderen, verstehen Sie, Mr. Jack? Da war alles kaputt ... nur Blut, Blut ... Aber ich ... ich hab ihn in einen von den Gräben gezogen, und sie haben ihn geholt. Vielleicht wird er ja wieder.«
    Roly zitterte unkontrolliert. Jack flößte ihm seine Alkoholreserven ein. Der junge Mann trank in kleinen Schlucken.
    »Was war denn überhaupt? Habt ihr diesen Hügel eingenommen?«, fragte Jack.
    »Ja ... nein ...« Roly wischte sich den Mund ab. »Mir ist so kalt ...«
    Jack half ihm aus den Resten seiner Uniform und zog ihm seinen Trenchcoat über. Es war eigentlich warm in dieser Mainacht, aber er kannte die Kälte, die Roly lähmte.
    »Sie haben den Hügel verteidigt, wie ... wie die Verrückten, als ob ... irgendwas Besonderes dran wäre an dem dummen Hügel ...« Roly zog den Mantel enger um sich.
    Jack fragte sich, ob er es auch noch wagen sollte, ein Feuer zu entzünden. Aber Roly brauchte etwas Warmes. Er sammelte Holzreste.
    »Und wir robbten hoch. Wir waren wie Zielscheiben, sie haben Hunderte erschossen, Hunderte ... überall ... überall Tote. Aber wir haben’s geschafft. Greg, Bobby und ich ... und ein paar andere. Hauptsächlich Aussies. Wir hatten diesen vermaledeiten Hügel, und wir haben uns da eingegraben. Aber ... aber es kam keine Verstärkung. Wir hatten nichts zu essen, kein Wasser. Es war kalt in der Nacht, die Uniformen waren feucht und zerrissen und blutig ...« Er wies auf die Fetzen seiner Hose.
    »Und die Türken schossen ... und schossen ... und schossen.«
    Roly fuhr zusammen, als von der Front her auch jetzt Schüsse zu hören waren. »Und Schrapnellfeuer ... wenn es einen traf ... von Bobby war gar nichts mehr übrig, Mr. Jack. Es ging ganz schnell, eben war er noch da, und dann ... nur noch Blut ... und eine Hand ... Greg hat geweint. Er hat nur noch geweint, er konnte gar nicht mehr aufhören. Und dann hieß es, wir sollten uns zurückziehen. Aber da waren doch überall Türken ... wir sind dann wieder gekrochen, diesmal bergab, aber dann waren da Büsche, wir dachten, wir rennen in Deckung, und da waren ja dann auch die Gräben von den Aussies ... Wir sind gelaufen ... o Gott, Mr. Jack, ich hab gedacht, meine Lunge platzt, dabei war ich so müde ... und dann hat’s Greg erwischt.« Roly schluchzte. »Ich will nach Hause, Mr. Jack! Ich will nach Hause!«
    Jack legte die Arme um ihn und wiegte ihn. Paradoxerweise dachte er dabei an Gloria. Als sie klein war und nachts aus Albträumen aufschreckte, hatte er das Mädchen so gehalten. Wer hatte das wohl in England für sie getan? Oder hatte sie sich allein in den Schlaf geweint?
    Irgendwann kochte das Wasser in dem Kessel über dem Feuer. Jack ließ Roly los, zwang ihn, sich zu waschen und Tee zu trinken – und plünderte mit schlechtem Gewissen Greg McNamaras Spind. Er wusste, dass der trinkfeste junge Bergmann dort Whiskeyreserven hortete. Zurzeit halfen sie ihm nichts, aber Roly brauchte die Stärkung.
    »Morgen sieht alles anders aus«, meinte er tröstend, obwohl er es nicht glaubte. Womöglich startete am nächsten Tag die Gegenoffensive der Türken.
     
    Was dies anging, so hatten die ANZACs noch

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