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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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nicht mehr unter derart grässlichen Bedingungen ausübte wie auf der 
Niobe
, so gab es doch auch in den Scheunen und Hafenschuppen, in die sie die Freier zog, zweifellos Flöhe. Am liebsten ging sie an irgendeinen Strand. Das war sauber, und das Rauschen des Meeres lullte sie ein, während die Freier sich an ihr vergnügten.
    Gloria hasste auch die ehrbaren Frauen und die Ladenbesitzer, bei denen sie ihre wenigen Lebensmittel kaufte. Ihre Selbstgefälligkeit, wenn sie der Hure Gloria begegneten, und ihre mangelnde Bereitschaft, ihr irgendwie weiterzuhelfen. Sie hatte sich zur Gewohnheit gemacht, als Junge zu reisen und sich nur nachts in eine Frau zu verwandeln. In Männerkleidung fühlte sie sich sicherer und konnte sich auch leichter vor den anderen Freudenmädchen verstecken, die den Tag gern dafür nutzten, Jagd auf die »fahrende« Konkurrenz zu machen. Immer in der Hoffnung, das Geld für Lebensmittel einsparen und damit mehr für die Reise nach Neuseeland zurücklegen zu können, fragte Gloria auch als Junge ständig nach Arbeit. Es wäre ein Leichtes für die Krämer oder die Bauersfrauen in den Farmen am Weg gewesen, den Jungen ein paar Zäune reparieren, Lieferwagen abladen oder Gras schneiden zu lassen, um sich sein Essen zu verdienen. Aber nur wenige kamen der Bitte nach, die meisten forderten Geld. Bestenfalls bekam »Jack« ein Almosen mit auf den Weg: »Geh mit Gott, aber geh!«, rief man Gloria mehr als einmal nach.
    Streuner waren in den Kleinstädten Australiens ungern gesehen. Immer wieder forderte man »Jack« auf, sich besser der Armee anzuschließen, als ziellos durch die Gegend zu ziehen.
    Am meisten aber hasste Gloria das Land, in das es sie verschlagen hatte. Sie war von Neuseeland und erst recht von Amerika her große Entfernungen gewöhnt, aber die Distanzen, die in Australien zu überwinden waren, stellten das alles in den Schatten. Besonders am Anfang ihrer Reise hatte sie das zur Verzweiflung getrieben. Um von Darwin nach Sydney zu gelangen, hatte sie das spärlich besiedelte Northern Territory zu durchqueren, und es umfasste Hunderte von Meilen. Für die Schönheit der Wüstenregionen, die sie in Zügen, oftmals zu Fuß oder auf dem Wagen irgendeines mitleidigen Farmers oder geilen Goldgräbers durchquerte, hatte Gloria keinen Sinn. Sie sah weder die zum Teil rot schimmernden Felsformationen noch die seltsam geformten Termitenhügel und spektakulären Sonnenauf-und Untergänge, obwohl sie manchmal flüchtig daran dachte, dass sie all das wohl früher gezeichnet hätte. Aber das war ein anderes Leben gewesen, und was das Heute anging ... Gloria hatte kein Leben. Sie sah ihre Existenz als einen Übergang – je weniger sie darüber nachdachte, wo sie war und was sie tat, desto einfacher würde es sein, all das später zu vergessen. Wenn sie die Augen schloss, sah sie die Canterbury Plains vor sich, das üppige Grasland, die Schafe, die Alpen im Hintergrund. Und sie lebte in der Angst, dass auch dieser letzte Traum irgendwann verblasste, wenn sie nicht schnell genug vorwärtskam.
    Gloria umging die Lager der Aborigines, der Ureinwohner des Landes, suchte aber gezielt nach Goldgräbern und ihren Ansiedlungen. »Jack« versuchte sich dabei kurz im Goldwaschen, doch ohne eigenen Claim und genauere Kenntnisse der Materie hätte sie Jahre gebraucht, um genug Geld für die Weiterreise zu sparen. Als Hure verdiente sie mehr, obwohl in den Lagern Vorsicht angebracht war. Die meisten Goldgräber waren raue Kerle und zahlten nur bereitwillig, wenn sie gerade mal fündig geworden waren. Dann konnten sie ungemein großzügig sein, aber manchmal fielen sie auch in Gruppen über Gloria her und wollten anschließend nicht zahlen. Das Messer gegen diese Übermacht zu zücken, wagte das Mädchen nicht.
    Auf jeden Fall atmete Gloria auf, als sie nach Wochen der Wanderschaft endlich wieder das Meer sah und nun halbwegs problemlos von einem Küstenort zum anderen ziehen konnte. Sie merkte sich die Namen der Dörfer, Städte und Häfen nicht. Alles war gleich für sie, die Landschaft verschmolz zu einer Wüste und einem Strand, die Gesichter der Männer zu einer einzigen Fratze. Gloria dachte nur daran, irgendwie vorwärtszukommen. Trotzdem dauerte es noch Monate der Schmerzen, Ängste und Demütigungen, bis sie Sydney endlich erreichte. »Jack« würde sich hier endgültig wieder in Gloria verwandeln müssen, denn auf diesen Namen lauteten ihre Papiere. Immer wieder hatte sie während ihrer Reise den Pass

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