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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Männer brachten. Aber je mehr Zeit sie mit den Frauen des Stammes verbrachte, desto deutlicher wurde ihr, dass sie eigentlich nichts anderes tat als Moana und Kiri zu Hause in der Küche. Gut, man machte Handarbeit und kochte unter freiem Himmel, aber das war auch der einzige Unterschied. Gloria dagegen hatte es stets mehr Spaß gemacht, auf der Farm zu helfen und mit den Schafen und Rindern zu arbeiten. Die Tiere fehlten ihr.
    Nun hinderten die Maoris sie nicht, sich den Männern bei der Jagd und beim Fischfang anzuschließen. Beides war auch Frauen erlaubt; jedes Maori-Mädchen lernte, sich im Notfall allein durchzuschlagen. Üblich war die gemeinsame Jagd aber nicht, und wenn ein Mädchen mitkam, neigten die Männer dazu, dies als Versuch einer Annäherung zu missdeuten. Gloria mochte dieses Risiko nicht eingehen. Sie versuchte anfänglich, ihre Freundinnen zur Jagd oder zum Fischfang zu überreden. Wenn Pau oder Ani sich aber wirklich einmal dazu aufrafften, arteten die gemeinsamen Unternehmungen mit den Jungen schnell in einen ziemlich hemmungslosen Flirt aus. Gloria wurde unweigerlich in das vergnügte Geplänkel hineingezogen, und sie hasste es!
    So blieb sie meist am Feuer und begleitete nur gelegentlich Wiremu zum Fischfang. Während sie lernte, wie man aus Schilf und Zweigen Reusen flocht, in denen man dann Köder für die Fische auslegte, redeten die Frauen im Lager über ihr Verhältnis zu Wiremu. Abends neckte man sie damit – und Gloria blieb am nächsten Tag lieber wieder bei den Zelten.
    Doch selbst wenn es einfacher gewesen wäre, die Aufgaben der Männer zu teilen, statt mit den Frauen am Feuer zu sitzen: Gloria kämpfte auch mit der Erkenntnis, dass Jagd und Fischfang ihr wenig lagen. Natürlich war sie nicht zimperlich. Auch auf Kiward Station wurde gelegentlich geschlachtet, und sie angelte, seit sie ein kleines Mädchen war. Aber sie mochte einfach nicht jeden Tag für ihren Lebensunterhalt töten. Sie hatte keine Geduld, Fallen zu bauen und zu kontrollieren, und sie hasste es, die Vögel oder kleinen Nagetiere herauszunehmen, die sich darin stranguliert hatten. Dafür vermisste sie die Arbeit des Züchters, der seine Tiere lange Jahre behält, sich Gedanken um die beste Anpaarung von Schaf und Bock, Stute und Hengst macht, und dann die Geburt feiert, nicht den Tod. Gloria sorgte gern für Tiere. An der Jagd berauschte sie sich nicht.
    Insofern war sie auch nicht sehr traurig, als der Stamm sich schließlich auf den Heimweg machte. Tonga wäre gern noch weitergezogen, und auch Rongo war ein wenig enttäuscht, da sie Gloria gern mehr von der Heimat der Ngai Tahu gezeigt hätte. Sie wies das Mädchen in der letzten Zeit immer intensiver in 
tapu
 und 
tikanga
, das gesamte Brauchtum ihres Stammes, ein. Marama machte gelegentlich Andeutungen, dass die Heilerin wohl an eine Nachfolgerin dachte. Rongo hatte drei Söhne, aber keine Tochter.
    Allerdings ging der Sommer zu Ende, und wie fast immer bei den Stämmen auf der Südinsel waren es die gewöhnlichen Männer und Frauen des Stammes, die ihren Willen durchsetzten – auch gegen ihren Häuptling und ihre weise Frau. Im Herbst fand auf Kiward Station der Abtrieb der Schafe statt. Dabei wurden die Männer gebraucht, und es gab gutes Geld zu verdienen. Außerdem würde das Saatgut gereift sein, das die Frauen vor Beginn der Wanderung in den Boden gelegt hatten. Von der Ernte und dem bei den 
pakeha
 verdienten Geld konnten die Familien den Winter überleben – ohne anstrengende Wanderungen und Jagdausflüge bei Regen und Kälte. Tonga konnte noch so oft einwenden, dass dies nicht den Gebräuchen der Stämme entsprach und dass man sich damit von den Weißen abhängig machte. Ein warmes Feuer und ein bisschen Luxus in Form von 
pakeha
-Werkzeugen, Kochtöpfen und Gewürzen war den Menschen wichtiger als jede Tradition.
    Nun hieß das natürlich nicht, dass man auf dem Absatz kehrtmachte und auf direktem Weg zurück in die Canterbury Plains wanderte. Auch der Rückweg zog sich über Wochen hin, beinhaltete Besuche an heiligen Stätten und in den 
marae
 anderer Stämme. Gloria beherrschte die entsprechenden Zeremonien inzwischen blind. Sie sang und tanzte ohne jede Hemmung mit den anderen Mädchen und trug ihre 
pepeha
 vor, wenn die Gastgeber sich über ihr fremdartiges Aussehen wunderten. Dabei erntete sie stets große Hochachtung; besonders ihre Beschreibungen der Reise der 
pakeha
 aus dem fernen London über den 
awa
 Themse und die

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