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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Jack ihr ins Wort. »Ich spüre Charlotte dort. Und meinen Vater. Und Gloria. Aber es ist wie ein Haus nach einem großen Fest. In den Zimmern steht noch der Rauch der Zigarren und der Duft der Kerzen. Es riecht nach abgestandenem Wein, und man meint, den Nachhall von Gelächter zu hören, aber da ist nichts mehr. Nur Leere und Schmerz. Ich dachte, ich verkrafte das mit Charlotte. Und mein Vater ... er war alt. Sein Tod entsprach den Regeln ...«
    Sarah runzelte die Stirn. »Den Regeln?«, fragte sie.
    Jack antwortete nicht.
    »Aber Gloria ... seit Gloria verschwunden ist ... ich bringe es nicht fertig, Miss Bleachum. Ich bringe es nicht fertig, meiner Mutter in die Augen zu sehen und darin nichts als Fragen zu lesen. Und die einzige Antwort ist, dass Gott sich nicht an Regeln hält ...«
    Sarah griff nach seiner Hand.
    »Aber Gloria ist wieder da, Jack! Ich dachte, Sie wüssten das! Hat Miss Gwyn Ihnen denn nicht geschrieben? Na ja, wahrscheinlich waren Sie schon auf See. Aber Gloria ist zurück. Sie war hier, hier bei mir!«
    Jack sah sie fassungslos an. »Und jetzt ...?«
    Sarah zuckte die Schultern. »Miss Gwyn hat sie abgeholt. Soviel ich weiß, ist sie auf Kiward Station.« Jacks Hand krampfte sich um die ihre. »Das ... das ist ... Kann ich den Zug wohl noch erreichen? Und rufen Sie meine Mutter für mich an?«
     
    Gwyneira McKenzie war glücklich – aber sie hatte auch ein beunruhigendes Gefühl von Déjà-vu, als sie Jack auf dem Bahnsteig in Empfang nahm. Der schmale, blasse junge Mann, der viel zu langsam und schwerfällig aus dem Zug stieg, war ihr fremd geworden. Sein Gesicht hatte Falten, die dreieinhalb Jahre zuvor noch nicht da gewesen waren, und durch sein rotbraunes Haar zogen sich fast weiße Strähnen. Zu früh, viel zu früh für sein Alter. Vor allem erschreckte sie seine hölzerne Umarmung. Es war genau wie bei Gloria – auch wenn Jack immerhin höflich war und zumindest so tat, als würde er Gwyneiras liebevolle Begrüßung erwidern.
    Und Jack schien ebenfalls nicht reden zu wollen. Er antwortete auf Fragen, versuchte auch ein Lächeln, erzählte aber nichts. Er schien die letzten Jahre fest in sich verschließen zu wollen. Genau wie Gloria. Gwyneira graute es bei dem Gedanken, demnächst zwei schweigende, in sich zurückgezogene Gestalten am Abendbrottisch zu sehen – obwohl sie sich andererseits nichts mehr wünschte, als Gloria wenigstens wieder im Haus zu haben. Das Mädchen war mit den Maoris unterwegs, und trotz aller Spannungen vermisste Gwyneira es und machte sich Sorgen. Eigentlich sollte Gloria beim Stamm nicht in Gefahr sein, aber die ständige Sorge begleitete Gwyn jetzt schon so lange, dass es kaum möglich war, sie niederzukämpfen.
    Und nun also Jack. Gwyneira hatte das Auto genommen, um ihn abzuholen. Es regnete anhaltend, und langsam wurde sie zu alt für die Fahrt in der zugigen Chaise, deren Verdeck einen zwar trocken hielt, aber nicht warm.
    »Du fährst selbst?«, fragte Jack verwundert, als sie ihm die Tür öffnete.
    »Warum nicht?«, fragte Gwyn. »Mein Gott, es gehört wirklich nicht viel dazu, diese Dinger zu lenken. Früher war’s ein bisschen schwierig, sie anzuwerfen. Aber jetzt ... das kann wirklich jeder.«
    Sie legte krachend den Gang ein und gab viel zu viel Gas. Dann betätigte sie die Hupe, um sich freie Bahn zu verschaffen. Jack fühlte sich erst halbwegs sicher, als sie Christchurch hinter sich ließen und über die weitgehend freien Straßen durch die Canterbury Plains tuckerten. Es wurde schon dämmerig, und Jack starrte in das diffuse Licht. Vor den Alpen lag ein Regenschleier.
    Gwyneira beklagte sich über die schlechte Heuernte und darüber, dass man die Schafe früher aus dem Hochland eintreiben müsste als sonst.
    »Und nicht mal hier unten wächst das Gras so üppig wie normal. Es war einfach zu kalt in diesem Sommer. Den Rinderbestand habe ich schon verringert – lieber weniger, aber die richtig rund und nicht so abgemagert. Ich bin froh, dass du wieder da bist, Jack! Es wird mühsam, alles allein zu tun.« Gwyneira legte ihrem Sohn die Hand auf die Schulter. Jack reagierte nicht.
    »Bist du müde, Jack?« Gwyneira versuchte verzweifelt, ihm irgendeine normale Reaktion zu entlocken. »Es war ein langer Tag, nicht wahr? Eine lange Reise.«
    »Ja«, sagte Jack. »Tut mir leid, Mutter, aber ich bin sehr müde.«
    »Du wirst dich hier bald erholen, Jack!«, meinte Gwyneira optimistisch. »Wir müssen sehen, dass du wieder Fleisch auf die Rippen

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