Der Ruf der Kiwis
weitgehend schweigend betrunken. Meint jedenfalls Kiri, sie hat ihnen zwischendurch ein paar Sandwiches gemacht. Auch zur größten Verwunderung der Viehhüter. Das war wohl das zivilisierteste Besäufnis ihres Lebens. Seitdem versucht Maaka immer wieder, Jack irgendwo einzubeziehen. Aber er läuft gegen eine Wand.«
»Maaka ist nicht mit dem Stamm auf Wanderschaft?«, fragte Elaine. Gwyneira hatte ihr vorher ausführlich von Gloria erzählt.
Ihre Großmutter schüttelte den Kopf. »Gott sei Dank nicht. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn machen sollte. Gerade in diesem scheußlichen Sommer. Die Heuernte war katastrophal, die Hälfte ist verregnet. Und wenn es so weitergeht, müssen wir die Tiere zudem früher eintreiben. Hoffentlich sind die Maoris bis dahin zurück.«
»Sonst mache ich es mit meinen zwei Cowboys!« Elaine lachte und schaute aus dem Fenster. Ihre beiden Jungs vergnügten sich auf den Weiden vor dem Haus mit zwei Cobstuten. Frank Wilkenson versuchte sich als Reitlehrer. »Und weißt du was? Ich möchte auch einen neuen Collie. Callie ist jetzt so lange tot, aber ich schaue mich immer noch nach ihr um. Ich brauche einen neuen Schatten! Und ich schnappe mir Jack wegen der Ausbildung. Er muss mir zeigen, wie es geht. Dann wird er auftauen.«
Jack erschien eine Stunde später, verschwitzt und müde nach dem Ritt. Früher hätte ihn der kurze Ausflug nicht angestrengt, aber nach der langen Zeit des Krankseins war es deutlich zu viel für ihn. Dennoch trank er einen Tee und wechselte ein paar höfliche Worte mit Elaine. Wobei ihn vor allem Rolys Wohlergehen interessierte.
»Roly geht’s gut, er wird nun endlich heiraten!«, erzählte Elaine gewollt fröhlich. Jacks Magerkeit und Blässe hatten auch ihr einen Schock versetzt. »Ich soll dich ausdrücklich einladen. Ansonsten ist er sehr beschäftigt. Erst mal kümmert er sich wieder um Tim – was dem sehr guttut. Er kommt allein zurecht, aber es ist mühsam. Und er schafft es natürlich nicht, um Hilfe zu bitten, sondern lässt seine schlechte Laune an der Familie aus! Seit Roly wieder da ist, geht’s uns allen besser. Außerdem hat er einen neuen Patienten, Greg McNamara – der Junge, der damals mit ihm in den Krieg zog. Es ist tragisch. Der arme Kerl hat beide Beine verloren, und die Familie ist völlig hilflos. Bis Roly zurückkam, lag Greg den ganzen Tag im Bett. Die Mutter und die Schwestern können ihn einfach nicht heben, und die kleine Rente reicht gerade für den Lebensunterhalt. Wir haben ihnen jetzt erst mal Tims alten Rollstuhl geschenkt, und der Reverend will sich darum kümmern, dass sie Zuschüsse für die Pflege bekommen. Greg würde auch gern arbeiten, aber damit sieht’s natürlich schlecht aus. Mrs. O’Brien könnte ihn in der Näherei anstellen, aber Roly traut sich nicht, es ihm anzubieten. Sieht zu sehr nach ›Heimzahlen‹ aus.«
Jack verzog traurig den Mund. »Der ›Krankenbruder‹ ...«, erinnerte er sich an Gregs Hänseleien. »Wie gesagt, es ist tragisch«, meinte Elaine. »Du hast Glück gehabt, Jack ...«
Jack biss sich auf die Lippen. »Ja, das habe ich«, sagte er leise. »Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet? Ich sollte mich waschen ...«
Bis zu einem gewissen Grad ging Elaines Rechnung in der Folge auf. Jack antwortete höflich auf ihre Bitte um Hilfe bei der Hundeausbildung, und er fand sich jeden Morgen pünktlich auf dem Hof ein, um mit Elaine und ihrer Shadow zu arbeiten. Tuesday kam das ebenfalls zugute. Sie lernte schnell und betete ihren Herrn an. Allerdings kam sie nicht, wie Shadow, in den Genuss eines anschließenden Spaziergangs oder Ausritts. Jack zog sich direkt nach dem Training zurück. Er schien auch keine Freude an der Arbeit mit den Tieren zu finden wie früher. Wenn er die Hunde lobte, tat er es freundlich und sachlich, doch seine Augen leuchteten nicht auf, und in seiner Stimme lag kein Lachen.
»Er benimmt sich untadelig«, berichtete Elaine Gwyneira. »Aber es ist, als wäre etwas in ihm tot.«
3
»Und was hört ihr von euren verlorenen Kindern?«
Gwyneira hatte so viel mit ihren eigenen Sorgen zu tun gehabt, dass sie sich erst spät nach Lilian und Ben erkundigte. Sie fuhr ihre Enkelin in der Chaise von Kiward Station nach Christchurch. Elaine wollte Elizabeth Greenwood besuchen und am nächsten Tag nach Greymouth zurückreisen.
Elaine zuckte die Schultern. »Widersprüchliches«, sagte sie dann.
Gwyneira runzelte die Stirn. »Was habe ich darunter zu
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