Der Ruf der Kiwis
kriegst. Und in die Sonne kommst. Du bist ja bleich wie der Tod. Diese Krankenhäuser ... was du brauchst, ist ein bisschen frische Luft, ein gutes Pferd ... und wir haben Welpen, Jack. Du solltest dir einen aussuchen. Was ist heute für ein Tag, Jack? Dienstag? Dann solltest du ihn Tuesday nennen. Dein Vater hat seine Hunde immer nach den Wochentagen genannt ...«
Jack nickte erschöpft. »Nimue ... gibt es die noch?«, fragte er vorsichtig.
Gwyneira nickte. »Sicher. Aber sie ist bei Gloria – und entdeckt ihre Wurzeln.« Sie schnaubte. »Wobei Nimue dazu ja eher nach Wales reisen müsste. Aber Gloria erforscht zurzeit ihr Maori-Erbe. Sie ist auf Wanderschaft mit Maramas Stamm. Wenn du mich fragst, schmiedet Tonga Heiratspläne. Bevor sie loszogen, klatschten die Leute über Gloria und Wiremu.«
Jack schloss die Augen. Also doch ein leeres Haus. Nicht mehr als der Nachhall von Stimmen und Gefühlen in verlassenen Räumen.
Oder? Zu seiner Verwunderung bemerkte Jack, dass er etwas empfand. Einen Hauch von Zorn – oder Eifersucht! Wieder versuchte jemand, ihm Gloria wegzunehmen. Erst die Martyns, jetzt Tonga. Und immer kam er zu spät, um sie zu schützen.
»Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Er verschanzt sich in seinem Zimmer. Es ist fast noch schlimmer als mit Gloria. Die ritt wenigstens aus ...«
Gwyneira füllte Tee in die Tasse ihrer Enkelin Elaine. Wie fast jedes Jahr zum Sommerende war Elaine mit ihren beiden jüngeren Söhnen nach Kiward Station gekommen, um ein bisschen Landluft zu schnuppern. Ihr Ältester besuchte inzwischen ein Internat in Dunedin und verbrachte die Ferien in Greymouth. Er interessierte sich brennend für die Arbeit seines Vaters und half gern in der Mine, wobei er auch die Arbeit unter Tage nicht scheute. Elaine dagegen genoss den Umgang mit den Schafen und Pferden. Schon als Kind hatte sie Kura um ihr Erbe beneidet, und mitunter wurde Gwyneira jetzt noch wehmütig zumute. Wie viel einfacher wäre alles gewesen, hätten ihre Tochter Fleurette und anschließend Elaine und ihre Brüder die Farm geerbt!
»Du meinst, er macht gar nichts auf der Farm?«, fragte Elaine. Sie war eben angekommen, hatte Jack aber noch nicht gesehen. Sein Freund Maaka hatte ihn genötigt, sich ein paar Zuchttiere anzusehen. Der Maori-Vormann versuchte verzweifelt, Jack wieder für Kiward Station zu interessieren. Aber Gwyneira wusste genau, wie es ablaufen würde. Jack würde mitreiten, einen Blick auf die Tiere werfen und ein paar unverbindliche Worte sagen. Dann würde er sich mit Müdigkeit entschuldigen und erneut in seinem Zimmer verbarrikadieren.
»Er war doch mal Vormann hier!« Elaine nahm sich noch eine Tasse Tee.
Gwyneira nickte wehmütig. »Er hatte alles im Griff. Und es liegt ihm ja auch im Blut. Jack ist ein geborener Farmer und Züchter – und Hundetrainer. Seine Collies waren immer die besten in ganz Canterbury. Und jetzt? Der Welpe, den ich ihm geschenkt habe, ist bei ihm. Nach ein paar Anlaufschwierigkeiten. Aus irgendwelchen Gründen wollte Jack keinen Hund. Aber du kennst Collies. Tuesday hat so lange vor seiner Zimmertür gefiept, bis er sie reingelassen hat. Eine Geduldsprobe, ich konnte es schon nicht mehr mit anhören. Jetzt duldet er sie. Wenn auch nicht mehr als das. Er bildet sie nicht aus, geht nicht mehr als nötig mit ihr nach draußen ... Sie darf ihm lediglich beim ›Aus dem Fenster gucken‹ Gesellschaft leisten. Wenn ihr das langweilig wird, lässt er sie raus; dann läuft sie mir hinterher oder geht in die Ställe. Ich bin mit meinem Latein am Ende!«
»Vielleicht kriegen die Jungs und ich ihn ja aus der Reserve«, überlegte Elaine. »Er mag doch Kinder.«
»Versuch es«, meinte Gwyneira mutlos. »Aber im Grunde hat Maaka schon alles durch. Er bemüht sich so sehr, es ist rührend. Dabei hatte ich anfangs Angst, es könnte zu Kompetenzgerangel kommen. Maaka hat die Farm jetzt dreieinhalb Jahre faktisch geleitet. Aber er hätte das Ruder sofort an Jack abgegeben, wenn der bloß gewollt hätte! Am ersten Abend kamen Maaka und ein paar andere alte Kumpel mit einer Flasche Whiskey rüber. Jack abholen. Kennst ja die Kerle, sie betrinken sich lieber in den Ställen. Jack hat die Horde in den Salon gebeten, Gläser rausgesucht ... Die Jungs wussten nicht, wo sie hingucken sollten! Ich habe mich dann zurückgezogen, in meiner Gegenwart sind sie ja noch befangener. Anschließend sollen sie wohl ein paar Worte gewechselt haben – und schließlich haben sie sich
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