Der Ruf der Kiwis
Jack zu und zog ihn in eine bärentatzige Umarmung. »Machen Sie’s gut, Jack!«
Jack lächelte, als er winkend abzog.
»Ein guter Freund?«, fragte Miss Bleachum und nahm Jacks Seesack.
Jack nickte. »Ein sehr guter Freund. Aber Sie brauchen meine Sachen nicht zu tragen. Ich schaffe das schon ...«
Sarah schüttelte den Kopf. »Nein, lassen Sie mal. Ich muss mich doch nützlich machen. Sie ... Sie können sich auch gern auf mich stützen.« Sehr einladend klang das eigentlich nicht. Jack erinnerte sich auch nur zu gut an Miss Bleachums Neigung zur Prüderie.
»Seit wann sind Sie Krankenschwester?«, erkundigte er sich höflich.
Sarah lachte nervös. »Bin ich eigentlich gar nicht. Ich helfe nur ein bisschen. Ich soll ... ich soll die Kranken ein wenig unterhalten ...«
Jack runzelte die Stirn. Er konnte sich Miss Bleachum gut als Unterhalterin für eine ältere Dame vorstellen, aber sie war nicht gerade die Frau, den man einstellte, um Männern die Zeit zu vertreiben. Das war jedoch nicht sein Problem. Er folgte der jungen Frau langsam die Gangway hinunter. Sarah gesellte sich zu ein paar anderen Schwestern, die Rollstühle schoben oder Blinde führten. Die meisten von ihnen trugen die hellblaue Tracht mit weißem Kragen und Häubchen. Sarah beäugten sie argwöhnisch. Wahrscheinlich war es nicht das erste Mal, dass sie sich einen der gesünderen Patienten zur Betreuung auswählte.
Ein dunkelhaariger Arzt ging von einem zum anderen und begrüßte die Neuankömmlinge, bevor man ihnen in die Fahrzeuge half. Jack kam der Mann bekannt vor. Vor allem aber irritierte ihn das Aufleuchten in Sarahs Gesicht, als der Mann sich näherte.
»Das ist Dr. Pinter!«, stellte sie den Mann strahlend vor. Auch der Arzt lächelte, wurde aber ernst, als er Jack ins Gesicht sah.
»Dr. Pinter, das ist ...«
»Wir kennen uns, nicht wahr?«, fragte Pinter. »Warten Sie ... ich erinnere mich ... Staff Sergeant McKenzie, nicht wahr? Gallipoli ... Der Lungendurchschuss, den Beestons Hund gerettet hat ...« Er lächelte bitter. »Ein paar Tage waren Sie das Gesprächsthema im Lazarett. Ich freue mich, dass Sie es überlebt haben!«
Jack nickte. »Und Sie waren ... Captain?«
Pinter zuckte die Achseln. »Major. Aber wen interessiert das schon? Im Lazarettzelt wateten alle im gleichen Blut. Gott, das ist selten, dass wir jetzt noch Verwundete aus Gallipoli reinkriegen. Die meisten kommen aus Frankreich. Sie waren doch nicht noch mal an der Front, oder?«
»Nein. Mr. McKenzie wurde in England behandelt!«, mischte Sarah sich ein und hatte auch schon Jacks Akte aus einem Stapel herausgesucht, um sie Pinter hinzuhalten.
»Und Sie?«, fragte Jack angestrengt. Das Schicksal des Arztes interessierte ihn nicht wirklich, aber er hatte das Gefühl, die Konversation aufrechterhalten zu müssen. Die Lehrerin und der Arzt bestiegen jetzt gemeinsam mit ihm den Bus. Er konnte nicht schweigend neben ihnen sitzen und seine Blicke über die Kulisse der Alpen schweifen lassen. »Ich meine, Sie ... waren doch Stabsarzt, und es ist immer noch Krieg ...«
Dr. Pinter biss sich auf die Lippen. Sein Gesicht wurde ernst, und Jack erkannte die Spuren, die Gallipoli darin hinterlassen hatte. Auch er war mager und blass, sein noch junges Gesicht von Falten durchzogen. Der Arzt hob die Hände und hielt sie vor seinen Körper. Jack sah, dass sie unkontrolliert zitterten.
»Ich konnte nicht mehr operieren«, sagte Pinter leise. »Man weiß nicht, was es ist ... vielleicht eine Nervenlähmung. Es begann in Gallipoli ... am letzten Tag ... sie hatten schon fast alle Truppen evakuiert, alle wollten nur noch weg ... nur noch die Letzten patrouillierten in den Gräben. Es sollte aussehen, als seien die noch voll bemannt. Tja, und ein paar der Jungs haben es wohl übertrieben. Wollten den Türken ein Scheingefecht liefern, aber die hatten schwere Artillerie hinter sich. Die Männer ... wurden zerfetzt. Was von ihnen übrig blieb, bekam ich auf den Tisch. Ich habe einen Siebzehnjährigen gerettet, wenn man das so sagen will. Beide Arme ... beide Beine ... Lassen Sie uns nicht mehr darüber reden. Danach begann dieses Zittern ...«
»Sie brauchen vielleicht einfach Ruhe«, meinte Sarah leise.
Pinter senkte den Blick. »Ich brauche ein paar andere Erinnerungen«, flüsterte er. »Ich möchte kein Blut mehr sehen, wenn ich die Augen schließe. Ich möchte keine Schüsse mehr hören, wenn um mich herum Stille herrscht.«
Jack nickte. »Ich stelle mir das Wasser
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