Der Ruf der Kiwis
vor«, sagte er leise. »Den Strand ... der erste Blick auf den Strand, bevor wir landeten. Es war ein schöner Strand ...«
Dann schwiegen beide Männer. Sarah wollte etwas anmerken, aber seichte Unterhaltungen lagen ihr nicht. Beinahe neidisch blickte sie zu den anderen Schwestern hinüber, die mit ihren Patienten plauderten und scherzten.
Jack erhielt ein Zweibettzimmer, zusammen mit einem mürrischen älteren Mann, der sich an eine Whiskeyflasche klammerte. Wo er sie herhatte, blieb Jack unklar, aber er war eindeutig nicht bereit, auch nur einen Schluck davon abzugeben.
»Medizin gegen Kopfschmerzen«, brummte er nur und zeigte auf eine hässliche Narbe in der linken Gesichtshälfte. Noch einer, der eine Verletzung überlebt hatte, mit der man normalerweise gar nicht erst im Lazarett landete. Ein Kopfschuss war fast immer tödlich.
»Kugel ist noch drin«, sagte der Mann. Dann trank er schweigend. Jack war das recht. Er starrte hinaus in den Garten vor ihrem Fenster. Es regnete. Nach Sarahs Auskunft hatte es viel geregnet in den vergangenen Wochen. Jack dachte vage an die Heuernte auf Kiward Station. Das alles war weit weg. Gallipoli war nahe.
Am nächsten Morgen besuchte ihn Sarah Bleachum. Jacks Mitbewohner war schon früh verschwunden – wahrscheinlich auf der Jagd nach Nachschub an »Medizin«. Jack selbst verspürte die übliche bleierne Müdigkeit und Kälte. Aber er ahnte, dass Sarah ihn nicht in Ruhe lassen würde. Also war er immerhin angekleidet, saß am Fenster und blickte hinaus in den Regen, als die junge Frau erschien.
»Der nächste Zug nach Christchurch geht um elf«, erklärte sie. »Soll ich Sie zum Bahnhof bringen lassen?«
Jack biss sich auf die Lippen. »Miss Bleachum, ich würde lieber ... ich würde mich gern noch etwas erholen ...«
Sarah Bleachum zog sich den zweiten Stuhl ans Fenster.
»Was ist los, Mr. Jack? Warum wollen Sie nicht nach Hause? Hatten Sie Streit mit Ihrer Mutter? Böse Erinnerungen?«
Jack schüttelte den Kopf. »Zu gute Erinnerungen«, sagte er müde. »Das ist das Schlimmste, wissen Sie? Gallipoli ... das Blut ... es tut weh, aber irgendwann verblasst das. Das Glück jedoch, Miss Bleachum ... das vergessen Sie nie. Das hinterlässt eine Leere, und nichts füllt sie auf ...«
Sarah seufzte. »Ich habe nicht viele glückliche Erinnerungen«, murmelte sie. »Gut, ich war selten richtig unglücklich. Ich unterrichte sehr gern, ich mag meine Schülerinnen. Aber so etwas Großes ...«
»Dann sind Sie zu beneiden, Miss Bleachum«, sagte Jack kurz und versank wieder in Schweigen.
»Wollen Sie nicht davon erzählen?«, fragte Sarah verzweifelt. »Ich meine ... dafür bin ich da. Ich bin sonst zu nichts nütze, ich tauge nicht zur Krankenschwester. Ich mag die Männer nicht anfassen. Die anderen Schwestern ... sie sagen, ich hätte kein Mitgefühl ...«
»Vielleicht empfinden Sie zu viel«, meinte Jack. »Warum suchen Sie sich keinen anderen Job?«
Sarah kaute auf ihren Lippen und rieb sich die Augenbrauen. Dabei verfolgte ihr Blick die hochgewachsene Gestalt Dr. Pinters, der gerade, eine Plane gegen den Regen über die Schultern geworfen, über den Schulhof rannte.
»Warum nimmt er sich keinen Schirm«, sagte sie leise. »So wird er doch nass. Er wird sich den Tod holen ...«
Jack lächelte schwach. »Womit die Frage beantwortet wäre ... erwidert er Ihre Gefühle? Mein Gott, habe ich Sie so etwas nicht schon einmal gefragt? Oder meine Mutter? Es ging um diesen Reverend ...«
Sarah Bleachum errötete, und ihr Mund wurde schmal.
»Reverend Bleachum vermochte meine Gefühle nicht zu erwidern«, bemerkte sie. »Was Dr. Pinter angeht ... solange er Gallipoli nicht verlassen kann ...«
Jack hätte jetzt ihre Hand nehmen und tröstende Worte sagen müssen. Es war vertrackt. Er wusste, was das Richtige wäre, brachte es aber nicht über sich, es auch zu tun.
»Es war eigentlich ein schöner Strand ...«, sagte er noch einmal.
»Und Sie meinen, er wird es vergessen?«, fragte Sarah hoffnungsvoll. »Irgendwann wird er aufwachen und mich vielleicht wahrnehmen?«
Jack nickte, obwohl er sich keineswegs sicher war. »Lassen Sie den Krieg erst vorbei sein. Bringen Sie ihn irgendwo hin, wo er keine verstümmelten Männer mehr sieht. An irgendeinen schönen Ort.«
»Wenn er denn will«, sagte Sarah. »Kiward Station ist ein schöner Ort.« Sie sah Jack forschend an. »Und trotzdem scheuen Sie davor wie ein Pferd. Genau wie ...«
»Es ist ein leerer Ort«, fiel
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