Der Ruf der Kiwis
die ...«
»Wahrscheinlich regnet es bei denen weniger«, vermutete Elaine. Caleb sah sie fassungslos an. Auf den Gedanken schien die Wissenschaft noch nicht gekommen zu sein.
Tim ergab sich schließlich in sein Schicksal und bot Caleb einen Platz in ihrem Abteil an. Elaine beobachtete belustigt, wie er zunächst versuchte, das Beste aus der Begegnung zu machen und Caleb ein bisschen über die Biller-Mine auszuhorchen. Das gab er allerdings bald auf. Caleb wusste einfach nichts. Die Mine war ihm völlig gleichgültig; seine geologischen Interessen beschränkten sich auf die Beschaffenheit der
pounami
-Jade sowie der
paui
-Muschel, die gelegentlich gebraucht wurde, um die Augen von Götterstatuen zu gestalten.
»Das macht diese Statuen mitunter bedrohlich, ist Ihnen das schon mal aufgefallen? Sie scheinen einen anzusehen, wenn man die Häuser betritt, aber das sind die Lichtspiegelungen im Stein, die ...«
Tim seufzte und verlagerte wieder sein Gewicht. Ohne Caleb im Abteil hätte er seinen Stolz wahrscheinlich irgendwann aufgegeben und sich quer auf eine Bank gelegt, um wenigstens die Beine ausstrecken zu können. Aber so kam das natürlich nicht in Frage.
Elaine versuchte es mit anderen Gesprächsthemen, wobei die Angelegenheit »Familie« natürlich Zündstoff bot. Caleb berichtete ohne große Begeisterung, dass Sam, sein zweitältester Sohn, jetzt in der Mine arbeitete.
»Aufs College wollte er nicht«, meinte Caleb bedauernd. »Nicht mal Wirtschaftswissenschaften studieren, obwohl Florence das auch sinnvoll fand. Aber er meint, er könnte genauso gut ein paar Bücher lesen und alles gleich umsetzen. Er ist sehr ... praktisch veranlagt.« Letzteres klang, als handele es sich um eine Art chronische Erkrankung.
Elaine erzählte, dass der älteste ihrer Söhne sich für Juristerei interessiere, während der mittlere eher technisch begabt schien. Bobby ging noch zur Schule. »Aber er scheint gern zu rechnen. Vielleicht wird er ja Kaufmann. Wir werden sehen.«
»Ihre Kinder haben Glück, Tim.« Caleb lächelte wehmütig. »Sie können tun, was sie wollen, es gibt keine Mine mehr zu vererben ...«
Tim wollte verärgert auffahren, doch Elaine legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm. Caleb meinte seine Bemerkung alles andere als böse. Er konnte sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie nahe es Tim damals gegangen war, als sein Vater sein Erbe verkauft hatte. Später hatte sich dann zwar alles zum Guten gewendet, und er war als Geschäftsführer äußerst erfolgreich, aber der Verlust des Familiengeschäfts hatte doch lange wie ein Stachel in seinem Fleisch gesteckt. Nun klärte Elaine Caleb in freundlichen Worten über einen Umstand auf, der Florence natürlich bekannt war: Die Lamberts hatten die riesigen Gewinne der ersten Kriegsjahre dazu genutzt, einen Teil der Minenanteile zurückzukaufen. Mittlerweile gab es durchaus wieder einiges zu vererben, und die Lamberts würden über Tims Nachfolger ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben.
Tim lächelte stolz, doch Caleb schien den neuen Reichtum eher als Belastung für spätere Generationen anzusehen. In der Folge überließen die Lamberts wieder ihm die Unterhaltung und langweilten sich zu Tode, während er über Knochen, aus denen Maori-Musikinstrumente geschnitzt wurden, dozierte – zum Beispiel, wie es den Ton eines
pahu pounamu
beeinflusste, wenn man ihn traditionell mit einem Walknochen anschlug, statt einen Rinderknochen zu benutzen.
»Kura hat sich da bei einer Konzertreise geholfen, aber sie war eher unzufrieden ...«
»Was hört man denn sonst von Kura?«, fragte Elaine, um ihn abzulenken, bevor er das Thema »Knochen« vertiefte. Caleb arrangierte immer noch die Musik für Kura-maro-tinis Konzertprogramme.
»Oh, es geht ihr gut! Sie planen, nach London zurückzugehen. William liebt zwar New York, aber Kura zieht es wohl doch wieder nach Europa. Mehr Glamour wahrscheinlich ...« Caleb lächelte nachsichtig. »Und mit dem neuen Programm versuchen wir, über die alte Verbindung von Klassik, beziehungsweise Folk und Maori-Folklore hinauszugehen und neue Musikrichtungen aufzugreifen. Auch solche aus der Neuen Welt. Kura war sehr vom Negro Spiritual beeindruckt. Und die Synkopen des Jazz ...«
Elaine beneidete Roly, der die Zugfahrt weitgehend verschlafen hatte. Aber dann vergaß sie Caleb, als der Zug im Bahnhof von Christchurch einrollte. George Greenwood erwartete sie, und auch Elizabeth flanierte auf dem Bahnsteig. Sie wiegte
Weitere Kostenlose Bücher