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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Aufzeichnungen. Im Gegensatz zu Miss Barnum wusste sie nicht aus dem Kopf, in welchen Zimmern ihre Mädchen untergebracht waren.
    »Martyn ... Martyn ... ah ja, hier haben wir es. Das Tizian-Zimmer.«
    Während die Zimmer im Westflügel nach berühmten Komponisten benannt waren, trugen die im Ostflügel die Namen von Malern. Gloria hatte den Namen »Tizian« allerdings noch nie gehört. Dagegen horchte sie auf, als Miss Coleridge geschäftsmäßig weiter vorlas.
    »Zusammen mit Melissa Holland, Fiona Hills-Galant und Gabrielle Wentworth-Hayland. Gabrielle und Fiona sind schon da ...«
    Gloria folgte der Hausmutter durch die am Nachmittag eher düsteren Flure des Ostflügels. Sie versuchte, sich einzureden, dass es in dieser Schule bestimmt zwanzig Gabrielles gab, aber sehr wahrscheinlich war das nicht. Und tatsächlich sah ihr das hübsche, etwas spitze Gesicht des braunhaarigen Mädchens, dem sie schon an der Rezeption begegnet waren, entgegen, als Miss Coleridge die Tür öffnete. Gabrielle räumte eben ihre Schuluniformen in einen der vier schmalen Schränke. Ein anderes Mädchen – Gloria erkannte eine zarte Blonde, die in der Eingangshalle mit Gabrielle zusammen gewesen war – schien damit schon fertig zu sein. Sie stellte ein paar Familienbilder auf ihren Nachttisch, unter die eher düsteren Reproduktionen opulenter Ölgemälde, die ansonsten die Wände des Zimmers zierten. Gloria fand die Porträts und Historienschinken durchweg scheußlich. Später sollte sie erfahren, dass hier dem Namensgeber ihres Zimmers gehuldigt wurde. Sämtliche Bilder an den Wänden stammten von Tizian.
    »Fiona, Gabrielle – dies ist eure neue Zimmergenossin«, stellte Miss Coleridge kurz vor. »Sie kommt ...«
    »Aus Neuseeland, das wissen wir schon, Hausmutter!«, meinte Gabrielle brav und knickste. »Wir haben sie bei der Ankunft kennen gelernt.«
    »Na, dann habt ihr euch ja gleich etwas zu erzählen«, erklärte Miss Coleridge, offensichtlich zufrieden, dass sie das Eis zwischen den Mädchen nicht brechen musste. »Ihr bringt Gloria dann nachher mit zum Abendessen.«
    Damit verließ sie den Raum und schloss die Tür hinter sich. Gloria blieb linkisch am Eingang stehen. Welches Bett sollte wohl ihres sein? Fiona und Gabrielle hatten sich die Betten am Fenster bereits gesichert. Aber Gloria war das sowieso egal. Sie hätte nur gern eine Decke gehabt, die sie sich über den Kopf ziehen konnte.
    Unsicher schob Gloria sich auf das Bett in der äußersten Ecke zu. Es schien sich zum Verkriechen am besten zu eignen. Aber die anderen Mädchen hatten nicht die Absicht, Gloria einfach sich selbst zu überlassen.
    »Da haben wir ja unser blindes Vögelchen!«, bemerkte Gabrielle gehässig. »Allerdings hab ich gehört, dass es recht schön singen soll. Ist deine Mutter nicht diese Maori-Sängerin?«
    »Wirklich? Ihre Mutter ist ’ne Neeegerin?« Fiona zog die Silben des letzten Wortes lang. »Aber sie sieht eigentlich nicht schwarz aus ...« Sie musterte Gloria angelegentlich.
    »Vielleicht ein Kuckucksei?«, kicherte Gabrielle.
    Gloria schluckte. »Ich ... wir ... bei uns zu Hause gibt es keinen Kuckuck ...«
    Sie verstand nicht, warum die anderen lachten. Sie verstand auch nicht, was sie den Mädchen getan hatte, und sie würde nie begreifen, dass man auch ganz ohne Anlass zum Objekt des Spottes werden konnte. Aber sie verstand, dass die Falle zuschnappte.
    Sie hatte keine Chance, all dem zu entkommen.
     

5
    Charlotte Greenwood kam mit ihren Eltern nach Kiward Station. Vier Wochen, nachdem sie Jack in Christchurch kennen gelernt hatte, und anlässlich einer förmlichen Einladung von Gwyneira McKenzie. Offizieller Anlass war eine kleine Feier nach dem erfolgreichen Abtrieb der Schafe aus den Highlands. Jetzt, im März, setzte in den Bergen der Winter ein, und es war Zeit, die Tiere auf die Farm zu holen. Nun geschah das in jedem Herbst und war nicht unbedingt ein Grund für Festivitäten. Aber Jack hatte seine Mutter gedrängt, die Greenwoods einzuladen, und da war schließlich ein Anlass so gut wie der andere.
    Jetzt strahlte Jack, als Charlotte aus der Kutsche stieg. Sie trug ein schlichtes, dunkelbraunes Kleid, das die Farbe ihres Haars noch wärmer wirken ließ. Ihre riesigen braunen Augen leuchteten, Jack meinte goldene Lichter darin aufblitzen zu sehen.
    »Hatten Sie eine angenehme Reise, Charlotte?«, fragte er und kam sich dabei schon wieder linkisch vor. Er hätte ihr auch aus dem Wagen helfen können, doch ihr Anblick

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