Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
Vom Netzwerk:
kommen. Der Stamm selbst ist auf die alte Farm von Howard O’Keefe umgezogen. Die Maoris haben das Land als Ausgleichszahlung für Unregelmäßigkeiten beim Kauf von Kiward Station erhalten. Marama wohnt dort, die Sängerin. Und Rongo, die Kräuterfrau. Beide sprechen gut Englisch und kennen Unmengen von 
moteateas
 ...«
    »Das sind Lieder, die Geschichten erzählen, nicht wahr?«, fragte Charlotte sanft.
    Jack nickte. »Es gibt Klagen, Wiegenlieder, Geschichten von Rache, von Stammesstreitigkeiten ... Genau das, was Sie suchen.«
    Charlotte sah mit leichtem Lächeln zu ihm auf. »Keine Liebesgeschichten?«
    »Natürlich auch Liebesgeschichten!«, beeilte er sich zu versichern. Aber dann verstand er. »Würden Sie denn gern ... eine Liebesgeschichte aufschreiben?«
    »Wenn es sich so ergibt«, meinte Charlotte verlegen. »Aber ich meine ... vielleicht ist es noch zu früh, irgendetwas aufzuschreiben. Vielleicht muss man erst noch mehr ... erleben. Verstehen Sie? Ich möchte Sie näher kennen lernen ...«
    Jack spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. »Die Maoris? Oder mich?«
    Charlotte errötete ebenfalls. »Führt das eine nicht zum anderen?«, fragte sie lächelnd.
     
    Die McKenzies und die Greenwoods kamen überein, dass Charlotte drei Monate auf Kiward Station bleiben sollte, um erste Forschungen auf ihrem Interessengebiet anzustellen, der Maori-Kultur. Elizabeth und Gwyneira tauschten dabei verschwörerische Blicke. Beiden war längst klar, was zwischen Jack und Charlotte begonnen hatte, und beide billigten es. Gwyneira fand Charlotte entzückend – auch wenn sie nicht immer auf Anhieb begriff, worüber sie sprach, aber das schien den Greenwoods nicht anders zu gehen. Wenn Charlotte in literarische Fachsprache verfiel, war sie nicht zu bremsen. Aber Elizabeth fürchtete inzwischen nicht mehr, dass sie als eine der ersten Dozentinnen an der Universität in Dunedin oder Wellington enden könnte. Charlotte hatte längst etwas gefunden, das sie mehr fesselte als die Welt der Wissenschaft.
    Sie ritt mit Jack über die Farm, ließ sich von Gwyneira die Feinheiten der verschiedenen Wollqualitäten erklären und übte lachend die verschiedenen schrillen Pfiffe, mit denen die Hirten die Collies dirigierten. Die Viehhüter und Maoris waren ihr gegenüber anfangs reserviert – die junge Dame aus England mit ihren nach neuester Mode geschneiderten Kleidern und ihren perfekten Manieren wirkte einschüchternd. Aber Charlotte verstand es, das Eis zu brechen. Sie versuchte sich am 
hongi
, dem traditionellen Gruß der Maoris, und lernte, dass es hier nicht um das gegenseitige Reiben von Nasen ging, sondern nur um eine leichte Berührung von Nase und Stirn des Gegenübers. Ihr ursprünglich elegantes Reitkleid wirkte bald abgenutzt, und sie tauschte den Damensattel schnell gegen einen der bequemeren Stocksaddles.
    Hinter Charlottes wohlerzogener Fassade steckte ein Naturkind – und eine Frauenrechtlerin. Mit der erstaunten Gwyneira diskutierte sie die Schriften von Emmeline Pankhurst und schien beinahe enttäuscht darüber, dass es das Frauenwahlrecht in Neuseeland schon gab. In England war sie mit anderen Studentinnen dafür auf die Straße gegangen und hatte sich offensichtlich königlich amüsiert. James McKenzie neckte sie, indem er ihr eine Zigarre anbot – Rauchen galt als Protesthandlung der Suffragetten, der radikalen Frauenrechtlerinnen –, und Jack und Gwyneira lachten, als sie tatsächlich beherzt lospaffte. Im Grunde waren sich alle einig, dass die junge Frau das Leben auf Kiward Station bereicherte, und so langsam schaffte es auch Jack, sich in ihrer Gegenwart normal zu unterhalten. Dabei schlug sein Herz allerdings immer noch schneller, wenn er sie sah, und seine Augen leuchteten auf, wenn ihr Blick sie traf. Immer wieder wurde er von Anfällen der Schüchternheit erfasst, und schließlich war es Charlotte, die ihn im Mondschein nach draußen lockte, weil sie unbedingt noch einmal nach den Pferden sehen wollte. Vorsichtig schob sie ihre Hand in die seine.
    »Ist es wahr, dass die Maoris sich nicht küssen?«, fragte sie leise.
    Jack wusste das nicht so genau. Maori-Mädchen hatten ihn nie angezogen; ihr meist schwarzes Haar und ihre exotischen Züge erinnerten ihn zu sehr an Kura-maro-tini. Und was Kura anging, traf James’ alte, spöttische Aussage immer noch zu: »Wenn sie die letzte Frau auf Erden wäre, ginge Jack ins Kloster!«
    »Man möchte doch meinen, die Maoris hätten das Küssen

Weitere Kostenlose Bücher