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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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entschuldigte. Er verglich ihre Bücher zunächst mit harmlos romantischen Geschichten wie 
Jane Eyre
, kam dann aber zu dem Schluss, dass sie – aufgrund der mangelnden Wirklichkeitsnähe – doch mehr dem fantastischen Genre zuzuordnen seien. Dabei führte er 
Frankenstein
 oder 
Dracula
 als Beispiele an. Tim, schon wieder unleidlich, stoppte ihn schließlich mit der Bemerkung, Lilian hätte sich mit der Vermarktung ihrer Familiengeschichte zweifellos vergriffen. Aber immerhin verwandele sie ihre Helden weder in Vampire, noch müssten sie auf Friedhöfen graben. Lilian lächelte ihrem Vater dankbar zu, was den Wagen ein wenig ins Schleudern brachte.
    Ben dozierte daraufhin über das Motiv des Vampirismus in der mündlichen Überlieferung Polynesiens. Elaine bemühte sich um Galahad, der den Fahrstil seiner Mutter gewöhnt war und vergnügt glucksend seine Spielzeuglok schwenkte. Roly kauerte in einer Ecke des Fahrzeugs und machte sich mit der Überlegung Mut, dass er schließlich auch Gallipoli überlebt hatte.
    Sie erreichten Kiward Station in absoluter Bestzeit. Lilian war ein wenig beleidigt, dass dies niemand zu schätzen wusste. Sie ging allerdings davon aus, dass zumindest ihre Urgroßmutter Gwyneira stolz auf sie wäre.
     
    Gwyneira hatte allerdings keinen Sinn für Lilys Rekorde. Tatsächlich nahm sie nicht einmal ihren Ururenkel Galahad richtig wahr. Zum ersten Mal in all den Jahren auf Kiward Station war Gwyneira McKenzie völlig ratlos und mit den Kräften am Ende.
    »Sie werden da oben umkommen«, wiederholte sie immer wieder. »Und es ist meine Schuld.« Elaine sorgte erst einmal dafür, dass Moana und Kiri für alle Tee kochten. Die beiden Maori-Frauen schienen ähnlich durcheinander wie ihre Herrin und erzählten obendrein etwas von einem Streit zwischen Marama, Rongo Rongo und Tonga, der ihre Welt wohl genauso erschütterte wie der Sturm die Welt Gwyneiras.
    »Marama sagen, wenn sterben Glory und Jack, dann Tongas Schuld, und Rongo sagen, wären zornig die Geister ...«
    Letzteres schien Kiri ziemlich zu beunruhigen, was Ben wortreich damit erklärte, dass ein beeinträchtigtes 
mana
 des Häuptlings das Gleichgewicht einer Maori-Gesellschaft bis in feinstoffliche Sphären beeinflusse. Zumindest nach Ansicht der Betroffenen.
    Lily lächelte und schenkte sich Tee nach.
    »Bis jetzt ist noch keiner tot«, bemerkte Tim. »Und wenn ich das beim Vorbeifahren richtig gesehen habe, sind doch auch die ersten Schafe wieder da, oder?«
    Gwyneira nickte. Tatsächlich war der kleine Tane sicher mit den jungen Widdern nach Hause gekommen. Allerdings waren die Tiere schon wieder ausgebrochen. Der Paddock, auf den Tane sie getrieben hatte, war nicht sehr sicher.
    »Wenn mir einer sagt, wo Werkzeug ist, kann ich das reparieren.« Roly wollte sich gern nützlich machen.
    »Es liegt ja vor allem am fehlenden Futter«, meinte Gwyneira. »Auf den Paddocks wächst nichts mehr, und wenn wir sie auf die letzten Grasflächen treiben ...«
    Tim und Elaine lauschten stirnrunzelnd ihrer Erzählung und versuchten, das gesamte Durcheinander rund um Versprechen, 
tapu
 und Geister nachzuvollziehen.
    »Moment mal, verstehe ich das richtig?«, fragte Tim schließlich. »Dieser Ring der Steinkrieger gehört doch zu deinem Land, Grandma, oder? Aber für die Erlaubnis, Grandpa James darauf zu begraben, fordert der Häuptling das alleinige Nutzungsrecht an weiteren Ländereien, die ihm auch nicht gehören?«
    »Sie nutzen es ja nicht ...«, flüsterte Gwyneira.
    »Und was ist das jetzt mit diesem 
mana?
«
    »
Mana
 bezeichnet, vereinfacht gesagt, den Einfluss eines Mannes innerhalb der Stammesgesellschaft. Aber es hat auch spirituelle Aspekte. Man mehrt es, indem man ...« Ben setzte zu einem weiteren Vortrag an.
    »... unter anderem alte Frauen unter Druck setzt«, bemerkte Tim. Seine Laune war ziemlich schlecht; die Autofahrt über die oft unebene Straße hatte seine Schmerzen weiter verstärkt. Er hätte sich jetzt lieber hingelegt, als Familienprobleme zu lösen. »Im Ernst, darum geht es doch. Der Mann möchte seine Leute beeindrucken, indem er die örtlichen 
pakeha
 kontrolliert und Einfluss auf Landnutzung und Arbeitsmarkt nimmt. Das musst du unterbinden, Grandma! Du treibst jetzt diese Schafe dahin, wo Gras wächst, und wenn er sich darüber aufregt, erschüttern wir einfach mal ein bisschen sein 
mana
. Es wäre interessant zu sehen, wie es sich auf die Geisterwelt auswirkt, wenn du damit drohst, seine

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