Der Ruf der Kiwis
sich.
»Er hat ›Puff‹ gesagt!«, begeisterte sich Elizabeth.
Elaine warf Tim einen entschuldigenden Blick zu, aber Tim mochte jetzt weder Elaines Heimlichkeiten noch die Lautäußerungen des Kindes diskutieren.
»Also schön«, brummte er. »Wo ist Lilian? Und wie kommt das Kind an einen Namen wie ›Galahad‹?«
Lilian und Elaine konnten ebenso wenig voneinander lassen wie Caleb und Ben. Während Mutter und Tochter sich endlos über das Leben auf der Nordinsel austauschten, diskutierten Vater und Sohn ernsthaft die bildliche Darstellung von Mythen in der Maori-Kunst. Dabei gerieten sie sich fast darüber in die Haare, ob die Darstellung der Trennung von Papa und Rangi in der Jade- und Holzschnitzerei der Eingeborenen als »statisch« zu bezeichnen war oder nicht. Tim unterhielt sich ein wenig gezwungen mit George und Elizabeth, kippte Whiskey gegen die Schmerzen und begab sich schließlich mit Lilians letztem Roman –
Die Schöne von Westport
– zu Bett. Eine halbe Stunde später brachte Roly ihm den Rest der Flasche.
»Miss Lainie kommt ein bisschen später. Sie bringt Lily noch weg und hilft ihr, Gila ... Galo ... also, das Baby ins Bett zu bringen.« Die Greenwoods hatten den Lamberts ihre Gästezimmer zur Verfügung gestellt; die Billers schliefen in einem Hotel in der Nähe. »Aber sie meint, Sie könnten das brauchen. Und Sie sollten es von der komischen Seite nehmen.«
Tim warf ihm einen gequälten Blick zu. »Geh schlafen, Roly, wir haben morgen einen anstrengenden Tag. Du wirst mir helfen, meine Tochter übers Knie zu legen!«
»Ich würde euch ja gern noch hierbehalten«, meinte George Greenwood beim Frühstück, zu dem sich alle in seinem Haus versammelt hatten. »Aber es ist besser, ihr fahrt heute noch nach Kiward Station. Ich mache mir Sorgen um Miss Gwyn, sie war vorhin am Telefon ziemlich außer sich. Wenn ich sie richtig verstanden habe, ist sie ganz allein auf der Farm, außer einem Maori-Jungen, der ihr mit den Tieren hilft. Jack und Gloria sind im Hochland und versuchen, die Schafe einzutreiben. Bei dem Sturm! Miss Gwyn machte sich furchtbare Sorgen. Und nicht zu Unrecht – ich habe in der Wetterstation angerufen, sie fürchten schwerste Unwetter.«
Tim und Elaine nickten. Sie hatten das schon befürchtet, als sie die dunklen Wolken und das seltsame Licht von Arthur’s Pass aus gesehen hatten. Aber was machten die Schafe von Kiward Station so früh im Sommer in den Bergen?
Lilian sagte nichts. Sie versteckte sich hinter den Locken, die sich aus ihrer sehr erwachsen wirkenden Hochfrisur gestohlen hatten. Tim hatte ihr Buch mit heruntergebracht und mit vielsagendem Ausdruck neben seinen Teller gelegt. Lilian wurde daraufhin rot wie eine Tomate. Sie hätte sich nicht gerade eine Katastrophe gewünscht, um von ihrem Werk abzulenken, aber ganz unrecht kam sie ihr auch nicht.
»Wir können darüber im Auto sprechen«, bemerkte Tim streng. »Du überlegst dir besser schon mal, was du dir dabei gedacht hast! George, kannst du uns ein Auto leihen, oder können wir eins mieten? Ein großes, wenn es geht. Ich brauche ein bisschen Beinfreiheit.«
Nach der Zugfahrt taten ihm immer noch alle Knochen weh, und er hätte nichts dagegengehabt, sich mit einem weiteren von Lilians Machwerken ins Bett zu legen. Es war natürlich Schundliteratur und obendrein ein Eklat, was die Familiengeschichte der Lamberts betraf. Aber bislang hatte ihn nie etwas so gründlich von seinen Schmerzen abgelenkt.
George nickte. »Kommen Sie gleich mit, Roly, wir haben verschiedene Firmenfahrzeuge ...«
Lilian sah ihre Chance. »Nein, ich fahre! Oh, bitte, Onkel George! Ich habe meinen Daddy immer chauffiert.«
Elaine verdrehte die Augen. »Benimm dich ab und zu mal wie eine Dame, Lily, und nimm Roly nicht die Arbeit ab!«
Lilian schüttelte den Kopf und befreite dabei gleich noch mehr Locken. »Aber ich bin viel schneller!«, erklärte sie. »Roly wird sich schon nicht überflüssig fühlen, oder?« Sie warf Roly einen bittenden Blick zu, der ihn erwartungsgemäß um den Finger wickelte. Das hatte bei ihm stets ebenso zuverlässig funktioniert wie bei ihrem Vater.
Roly trat nervös von einem Bein aufs andere. »Natürlich nicht, Miss Lily. Und sonst ... ich kann ja auf das Baby aufpassen. Wie heißt es noch?«
Wenn Lilian chauffierte, kamen im Auto keine langen Gespräche auf. Lediglich Ben hielt einen ausführlichen Vortrag, der das schriftstellerische Wirken seiner Gattin nur begrenzt
Weitere Kostenlose Bücher