Der Ruf der Kiwis
scheußlich, was angeboten wurde, aber sie sagte sich, dass ein Eierwärmer so gut war wie der andere.
Den Reverend selbst sah sie an diesem Nachmittag eigentlich nur von Weitem. Vorhin hatte er mit ein paar Männern geplaudert, jetzt unterhielt er sich scheinbar angeregt mit Miss Arrowstone. Die Rektorin war mit ihren im Internat verbliebenen neun Schülerinnen und zwei Lehrerinnen, denen wohl auch nichts anderes einfiel, als die Ferien in Sawston zu verbringen, zum Fest gekommen. Die Mädchen vergnügten sich mit dem Winden von Kränzen, Lilian sah in ihrem weißen Festkleidchen und dem Blumenkranz wie eine winzige Waldfee aus. Gloria blickte schon wieder missmutig drein. Irgendjemand musste sie geärgert oder gehänselt haben; auf jeden Fall nahm sie ihren Kranz ab und warf ihn fort. Er hielt auch kaum auf ihren drahtigen Locken, die sie an diesem Tag resigniert offen trug. Gewöhnlich versuchte sie, Zöpfe daraus zu flechten, aber das war schwierig, und wenn es endlich gelang, standen sie vom Kopf ab, als hätte man sie mit Drähten verstärkt. Sarah tröstete das Mädchen damit, dass die Haare einfach noch wachsen mussten. Irgendwann würde die Schwerkraft siegen, und die Zöpfe würden herunterhängen wie bei allen anderen Mädchen. Aber Gloria glaubte nicht recht daran.
Brigit Pierce-Barrister schmachtete eben den Reverend an. Sie sah aus wie eine füllige Nymphe. Ihr Kleid wirkte viel zu kindlich für ihre schon voll entwickelte Figur. Sarah fragte sich, warum Miss Arrowstone das Mädchen nicht wenigstens dazu anhielt, ihr Haar aufzustecken.
Brigit sagte etwas zu Christopher, und er antwortete lächelnd. Sarah spürte einen Stich der Eifersucht. Was natürlich Unsinn war. Die Kleine mochte für ihn schwärmen, aber der Reverend würde ein siebzehnjähriges Mädchen niemals ermutigen.
Sarah überlegte, ob sie aufstehen und zum Tisch von Oaks Garden hinüberschlendern sollte. Bestimmt wäre die Unterhaltung mit den Lehrerinnen interessanter als der Klatsch, den Mrs. Buster und ihre Freundinnen austauschten. Aber dafür würde Christopher sie wieder rügen – und Sarah hasste es, seinen Unmut zu erregen. Das verwirrte sie, denn am Anfang hatte es ihr nicht allzu viel ausgemacht, sich auch mal an ihm zu reiben. Seit sie einander ihre Liebe gestanden hatten, tadelte Christopher sie zwar seltener, »strafte« dafür aber subtiler. Wenn Sarah ihn mit irgendwelchen Worten oder Handlungen erzürnte, beachtete er sie tagelang nicht, hielt ihre Hand nicht auf jene sanfte, herzerwärmende Art – und natürlich nahm er sie auch nicht in die Arme und küsste sie.
Sarah hatte früher nie über Zärtlichkeiten nachgedacht. Sie träumte nicht von Männern, wie es sich die anderen Mädchen im Seminar manchmal unter dem Siegel der Verschwiegenheit gestanden, und es kam selten vor, dass sie verstohlen unter der Bettdecke ihren Körper streichelte. Aber jetzt verspürte sie brennende Sehnsucht und litt, wenn Christopher sie auf Abstand hielt. Am Tag war sie ruhelos, nachts lag sie endlos wach und dachte darüber nach, wie sie ihn hatte verärgern können und was sie tun konnte, um ihn zu versöhnen. In ihrer Fantasie durchlebte sie immer wieder seine Küsse, hörte seine dunkle Stimme zärtliche Worte sagen.
Manchmal schoss ihr das Wort »besessen« durch den Kopf, doch sie schreckte davor zurück, dieses Wort im Zusammenhang mit ihrer Liebe zu Christopher auch nur zu denken. Besser war »verzaubert« oder »verzückt«. Sarah träumte davon, in Christophers Armen vollständige Erfüllung zu finden, und wünschte sich, es ihm besser zeigen zu können. Aber nachdem sie am Anfang erstarrt war, wenn Christopher sie berührte, schien sie jetzt zu zerfließen. Sie schaffte es nicht, ihn ihrerseits zu liebkosen, sondern wurde nur willenlos in seinen Armen. In diesen Momenten konnte sie kaum erwarten, endlich einen Hochzeitstermin festzulegen. Für Christopher schien es schließlich festzustehen, dass sie Ja sagte, und einen romantischen Heiratsantrag hielt er offensichtlich nicht für nötig. Es gab Zeiten, in denen Sarah sich darüber ärgerte. Aber wenn sie ihn sah oder wenn er sie gar berührte, war das vergessen. Vielleicht, dachte sie, sollte ich ihn einfach darauf ansprechen, das Aufgebot auszuhängen. Aber dann siegte doch wieder ihr Stolz über ihre Schwäche.
Das war auch jetzt der Fall, als sich die Kapelle formierte und zum Tanz aufrief. Sarah erwartete, dass Christopher zu ihr herüberkommen würde, aber
Weitere Kostenlose Bücher