Der Ruf der Kiwis
tatsächlich forderte er Miss Wedgewood auf. Zur allgemeinen Begeisterung führte er die Musiklehrerin durch einen Walzer. Gleich darauf war Mrs. Buster an der Reihe.
»Da siehst du’s, er tanzt nicht mit Miss Bleachum!«, wisperte Lilian triumphierend Gloria zu. »Er macht sich nichts aus ihr.«
Das Letzte, was Gloria an diesem Tag hören wollte, waren weitere schlechte Nachrichten. Sie hatte vorhin einen Brief ihrer Eltern erhalten, der ihren Besuch in den Herbstferien ankündigte. Eigentlich hätte es noch in diesem Sommer klappen sollen, aber Kura und William wollten nun doch länger in Paris, wo sie mittlerweile waren, bleiben.
»Da könntest du doch hinfahren!«, hatte Lilian verwundert gemeint – und damit genau das ausgesprochen, was Gloria dachte. Die Martyns hatten sich nichts dabei gedacht, sie allein aus Neuseeland kommen zu lassen. Es konnte nicht sein, dass sie ihr jetzt nicht zutrauten, von London nach Paris zu reisen.
»Tja, wenn sie die liebe Gloria denn mal haben wollten!«, höhnte Fiona Hills-Galant. Das Mädchen hatte Lilians Worte gehört und nutzte die Gelegenheit, Gloria einen Stich zu versetzen. »Aber so, wie du Klavier spielst, Glory, bist du auf der Bühne nicht sehr nützlich. Wenn dir wenigstens noch der Blumenkranz stünde! Dann könntest du mit den Negertänzern im Baströckchen auf die Bühne springen!«
Gloria hatte ihre Blumen daraufhin wütend weggeworfen. Sie konnte noch so sehr versuchen, sich zu schmücken – niemand wollte sie! Nicht auszudenken, dass es Miss Bleachum womöglich genauso erging. Der Reverend musste sie einfach lieben!
»Na, in Mrs. Buster wird er doch wohl auch nicht verliebt sein!«, bemerkte Gloria. Sie war erleichtert, als der Reverend die Matrone in der Polka herumschwenkte und nicht etwa die hübsche Mrs. Winter.
»Natürlich nicht. Aber er kann ja nicht nur mit denen tanzen, in die er verliebt ist. Das fällt auf«, erklärte Lilian altklug. »Pass auf, jetzt tanzt er noch mit ein paar alten Damen und dann mit Brigit.«
Tatsächlich führte Christopher noch weitere »Stützen seiner Gemeinde« über den Tanzboden, bevor er zurück zum Tisch von Oaks Garden kam. Daneben war die Teebowle aufgestellt, ein kaltes Getränk aus Tee und Fruchtsaft, das die Tänzer erfrischen sollte. Brigit Pierce-Barrister füllte ihm eifrig ein Glas.
»Sie sind ein guter Tänzer, Reverend!«, schmeichelte sie ihm und lächelte neckisch. »Schickt sich denn das für einen Gottesmann?«
Christopher lachte. »Auch König David tanzte, Brigit«, bemerkte er. »Gott hat seinen Kindern Musik und Tanz geschenkt, auf dass sie sich daran erfreuen. Warum sollten seine Amtsdiener also nicht daran teilhaben?«
»Tanzen Sie dann auch einmal mit mir?«, erkundigte sich Brigit.
Christopher nickte, und jetzt sah selbst Gloria das Funkeln in seinen Augen. »Warum nicht? Aber kannst du es denn? Ich wusste nicht, dass Oaks Garden Tanzunterricht anbietet.«
Brigit lachte und zwinkerte. »Ein Cousin zu Hause in Norfolk hat es mir gezeigt ...«
Sie legte ihre Hand leicht auf den Arm des Reverends, während er sie auf die Tanzfläche führte.
Gloria warf Sarah einen Blick zu. Auch die junge Lehrerin beobachtete ihren Beinahe-Verlobten. Sie schien gelassen zu sein, aber Gloria kannte sie gut genug, um zu erkennen, dass sie erzürnt war.
Brigit schmiegte sich wie selbstverständlich in Christophers Arme und folgte geschickt seiner Führung. Natürlich war nichts Unschickliches an seiner Berührung, aber es war doch zu erkennen, dass er hier keine Pflichtübung ableistete.
»Ein schönes Paar!«, bemerkte dann auch Mrs. Buster. »Obwohl das Mädchen natürlich viel zu jung für ihn ist. Tanzen Sie nicht, Miss Bleachum?«
Sarah wollte scharf erwidern, dass sie sehr gern tanzte, wenn man sie nur aufforderte, hielt sich dann aber zurück. Erstens wäre das unpassend gewesen, und zweitens stimmte es nicht einmal. Sarah war keine gute Tänzerin. Mit Brille war es ihr peinlich, sich auf dem Tanzboden zur Schau zu stellen, und ohne Sehhilfe war sie fast blind. Dazu hatte sie bislang selten Gelegenheit gehabt, an Tanzvergnügen teilzunehmen. Sie konnte im Grunde gut darauf verzichten – wenn sie jetzt nur nicht das drängende Bedürfnis empfunden hätte, so von Christophers Armen umschlungen zu werden wie die impertinente kleine Brigit auf dem Tanzparkett.
»Haben Sie Mary Stellingtons Lesezeichen noch?«, erkundigte Brigit sich eben. »Die süße kleine Mary! Sie ist noch so kindlich,
Weitere Kostenlose Bücher