Der Ruf der Kiwis
Kiward Station. Aber jetzt ... keine Frage nach den Schafen oder den Hunden. Sie hat ihr Pony geliebt, aber jetzt erwähnt sie es gar nicht mehr! Ich kann nicht glauben, dass sie sich stattdessen für Klavierspielen und Malerei begeistert!«
Charlotte lächelte. »Kinder ändern sich, Jack. Du wirst das erkennen, wenn wir selbst welche haben. Möglichst bald, finde ich, oder bist du anderer Meinung? Ich möchte erst ein Mädchen und dann einen Jungen. Du auch? Oder lieber zuerst einen Sohn?« Sie spielte mit ihrem Haar und machte Anstalten, den Zopf zu lösen. Dabei warf sie vielsagende Blicke auf das breite Bett, das George Greenwoods Salonwagen beherrschte. Jack fand es irritierend, sich im Rhythmus des fahrenden Zuges zu lieben, aber für Charlotte war es wohl der Höhepunkt der Hinreise gewesen.
Jack küsste sie.
»Ich nehme, was immer du mir schenkst!«, sagte er zärtlich, hob sie auf und trug sie zum Bett hinüber. Charlotte war leicht wie eine Feder. Ganz anders als Gloria, die schon als Kind eher stämmig gewesen war ... Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich plötzlich nahtlos in ein Internatsleben wie das Oaks Gardens einpasste.
»Wenn es dich so beunruhigt, warum schreibst du ihr nicht einfach?«, fragte Charlotte. Sie schien seine Gedanken zu lesen; auf jeden Fall fiel ihr auf, dass Jack nach wie vor nicht bei der Sache war. Und der Grund dafür war Gloria, da war sie sich sicher. Charlotte bedauerte, das Mädchen nicht näher gekannt zu haben. Es war fast, als wäre ihr damit eine wichtige Facette von Jacks Persönlichkeit entgangen. »Schreib ihr einen persönlichen Brief, nicht die langen Bestandsaufnahmen, die Miss Gwyn sich alle paar Tage abringt. Die schreibt nämlich auch nicht sehr episch, im Grunde klingen ihre Berichte fast so hölzern wie die von Gloria: ›Den letzten Zählungen zufolge hat Kiward Station zurzeit einen Bestand von elftausenddreihunderteinundsechzig Schafen.‹ Wen interessiert denn das?«
Gloria, dachte Jack, fühlte sich aber dennoch getröstet. Er würde dem Mädchen schreiben. Aber jetzt hatte er anderes zu tun ...
Das ganze Dorf Sawston schien in den Vorbereitungen der Hochzeit seines verehrten Reverends aufzugehen. Als Datum für die Feier war der 5. September anberaumt, der Bischof würde es sich nicht nehmen lassen, seinen Reverend und die junge Miss Bleachum selbst zu trauen. Er hatte das Paar zu einem Abendessen in sein Haus geladen, als er von der Verlobung erfuhr, und Sarah war es gelungen, den allerbesten Eindruck zu erwecken. Die Gattin des Bischofs sprach mit ihr über die Pflichten einer guten Pfarrersfrau und hatte großes Verständnis dafür, dass Sarah sich oft noch überfordert fühlte.
»Daran gewöhnt man sich, Miss Bleachum. Und Ihr künftiger Gatte steht ja auch erst am Anfang seiner Laufbahn. Wobei er, wenn ich meinen Mann richtig verstanden habe, hervorragend einschlägt. Sicher erwarten ihn später noch größere Aufgaben, und wenn erst ein Vikar als Helfer zur Verfügung steht, können Sie sich gezielt den Aufgaben widmen, die Ihnen besonders liegen ...«
Sarah fragte sich, welche Aufgaben das sein sollten. Bisher fand sie an der Kirchenarbeit überhaupt kein Interesse. Aber auch wenn Zweifel sie plagten: Es genügte ein Blick aus Christophers faszinierend braunen Augen oder eine beiläufige Berührung seiner Hand, um Sarah von ihrer Berufung zur Pfarrersfrau zu überzeugen.
So blieb sie gelassen, als Mrs. Buster darauf bestand, ihr ein Hochzeitskleid anzumessen – im Stil der Mode um 1890. Sie hörte sich geduldig die Vorstellungen der Mütter ihrer Sonntagsschulklasse an, die ihre sämtlichen Sprösslinge zum Schleppetragen und Blumen streuen anboten, und versuchte so diplomatisch wie möglich darauf hinzuweisen, dass Gloria Martyn und Lilian Lambert hier deutlich die älteren Rechte hatten. Dabei wäre Gloria gern bereit gewesen, darauf zu verzichten.
»Ich bin doch gar nicht hübsch, Miss Bleachum«, murmelte sie. »Die Leute werden nur lachen, wenn ich Ihre Ehrenjungfrau sein soll.«
Sarah schüttelte den Kopf. »Sie werden auch lachen, wenn ich meine dicke Brille trage«, erklärte sie. »Wobei ich darüber noch nicht ganz entschieden habe. Vielleicht lasse ich sie doch weg.«
»Aber dann werden Sie sich auf dem Weg zum Altar verlaufen«, gab Gloria zu bedenken. »Und eigentlich ... also eigentlich muss der Reverend Sie doch auch mit Brille lieb haben, oder?«
Gloria legte die Betonung ganz selbstverständlich auf das
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