Der Ruf der Pferde
schlecht hörte und Damian nicht auf dem Hof wohnte, sondern in einem Zimmer im Dorf schlief, dachte Patricia.
Hinter dem Stall war es durch die fehlende Beleuchtung sehr viel dunkler als im Hof, doch Patricia kannte den Zaun, der hier entlanglief, er würde ihr beim Aufsitzen gute Dienste leisten. Ohne Sattel und mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken fiele es ihr sonst wohl schwer, auf Dallis’ Rücken zu gelangen.
»Braves Mädchen«, flüsterte sie Dallis zu, die willig mitgetrottet war und nun mit gespitzten Ohren und geblähten Nüstern neugierig umherblickte. Die Stute merkte offensichtlich, dass etwas Ungewöhnliches passierte, aber zu Patricias Erleichterung schien sie nicht nervös, sondern sah der Unternehmung erwartungsvoll entgegen.
Patricia fasste die Zügel über Dallis’ Widerrist zusammen und kletterte über den Zaun auf ihren Rücken. Der Rucksack drückte immer noch schwer, er würde sie beim Reiten ziemlich behindern, aber das ließ sich nicht vermeiden.
Sie streichelte die kleine Stute und nahm dann die Zügel auf.
»Auf geht’s«, sagte sie leise. »Ich bringe dich nach Hause.«
26.
Auch Ethan schlief in dieser Nacht nicht viel.
Stundenlang grübelte er und machte sich Vorwürfe über sein Benehmen Patricia gegenüber. Wie konnte er sie derartig hängen lassen und auf beleidigt machen, ausgerechnet jetzt, da sie vor Sorge um dieses Pony nicht mehr aus noch ein wusste!
Immerhin hatten sie dann am Abend doch noch miteinander sprechen und die Missverständnisse ausräumen können. Allerdings musste er sich eingestehen, dass es nicht sein Verdienst war. Wenn Patricia nicht angerufen hätte, würde er vermutlich noch bis in alle Ewigkeit weiterschmollen.
Ethan ärgerte sich über sich. Er hatte das Gefühl, sich manchmal selbst im Weg zu stehen – aus reiner Sturheit und verletzter Eitelkeit. Und gestern hätte ihn sein dummer Stolz beinahe Patricia gekostet! Beim Gedanken daran musste Ethan in der Dunkelheit den Kopf über sich schütteln. Er erkannte, wie unerträglich diese Vorstellung für ihn war.
Er durfte wirklich froh sein, dass Patricia so gutmütig gewesen war und außerdem Mut genug besaß, ihn ordentlich zusammenzustauchen, wenn es nötig war. In der Erinnerung lächelte Ethan unwillkürlich. Ihren Anraunzer hatte er verdient, das gab er ehrlich zu. Schwerer fiel es ihm allerdings, seine Gefühle für Patricia zuzugeben. Irgendwie empfand er Hemmungen, ihr offen zu gestehen, dass er sich bis über beide Ohren in sie verliebt hatte. Dabei gab es kaum etwas, was er sich mehr wünschte.
Das hieß, es gab natürlich doch etwas, was Ethan sich mindestens genauso ersehnte – Patricia in den Armen zu halten, sie küssen und liebkosen zu dürfen. Aber sie war einiges jünger als er.
Und er wollte sie auf keinen Fall überrumpeln und womöglich so erschrecken, dass sie sich von ihm zurückzog. Es musste ihm für den Moment genügen, dass er wusste, Patricia mochte ihn ebenfalls gern.
Als Ethan an die Worte dachte, die ihm Patricia am Telefon sagte, empfand er wieder dieses überwältigende Glücksgefühl. Patricia ahnte ja nicht, wie viel es ihm bedeutete, als sie ihm dieses Geständnis machte. Und wie oft Ethan seither diese wenigen Sätze im Geiste für sich wiederholt hatte, wusste er selbst nicht.
Doch im Moment lasteten auf Patricia zu große Sorgen, als dass Ethan sie mit seinem Gefühlschaos konfrontieren wollte.
Dieses Pony, um das sie solche Angst hatte.
Die Sache war entsetzlich verfahren, fand Ethan. Dallis tat ihm leid, das arme Tier konnte wirklich nichts dafür und musste jetzt als Bauernopfer herhalten. Ungerecht war das sicherlich und Ethan konnte auch nachvollziehen, wie Patricia darunter litt.
Doch Ethan betrachtete das Ganze auch von der anderen Seite. Immerhin ging es nur um ein einzelnes Pony. Und so tragisch es auch war – wenn sein Tod nun der Preis dafür sein sollte, dass Si-las den Hof und seine Existenz behalten durfte, dann musste dieser Preis wohl gezahlt werden. Ethan liebte Pferde, aber letztlich war Silas wichtiger. Für Silas, der für ihn mehr Vater war als sein eigener, war Ethan bereit, jedes Opfer zu bringen. Auch Dallis, wenn es denn sein musste.
Ethan wusste, dass er Patricia mit dieser Einstellung nicht zu kommen brauchte, und er würde sich auch sehr hüten, es ihr zu erzählen. Doch es kam ja ohnehin nicht mehr darauf an, sie töteten das Pony in jedem Fall und er konnte sowieso nichts anderes tun, als dann für Patricia da zu
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