Der Ruf Der Trommel
Lächeln.
»Du fällst den Leuten auf, Sassenach.«
Ich biß mir auf die Lippen. Es stimmte, im Guten wie im Bösen, und die Tatsache, daß ich auffiel, hatte mich schon mehr als einmal beinahe umgebracht.
Er stand auf, hielt mit Hilfe eines Astes das Gleichgewicht, trat auf den Kies und zog sich das Plaid über die Schulter.
»Ich habe Mrs. Byrnes gesagt, ich würde die Sachen ihres Mannes aus der Sägemühle holen«, sagte er. »Du brauchst nicht mitzukommen, wenn du nicht möchtest.«
Die Sägemühle ragte vor dem sternenübersäten Himmel auf. Sie
hätte beim besten Willen nicht unheimlicher aussehen können. Wo du hingehst, da will auch ich hingehen.
Ich glaubte jetzt zu wissen, was er tat. Er hatte alles sehen wollen, bevor er seinen Entschluß faßte; es in dem Bewußtsein betrachten wollen, daß es ihm gehören konnte. Der Spaziergang durch den Park und die Obstgärten, die Bootspartie vorbei an den dichten Kiefernwäldern, der Besuch bei der Sägemühle - er verschaffte sich einen Überblick über den Besitz, den man ihm anbot, abwägend und einschätzend, stellte fest, welchen Komplikationen er sich gegenübersah und ob er die Herausforderung annehmen konnte und wollte.
Schließlich, dachte ich grimmig, hatte der Teufel darauf bestanden, Jesus alles zu zeigen, was er sich entgehen ließ, und ihn auf das Dach des Tempels geführt, damit er die Städte der Welt sah. Die einzige Schwierigkeit dabei war - falls Jamie beschloß, sich hinabzustürzen, stand keine Heerschar von Engeln bereit, um zu verhindern, daß er sich den Fuß - und alles andere - an einer Platte aus schottischem Granit stieß.
Nur ich.
»Warte«, sagte ich und kletterte aus dem Boot. »Ich komme mit.«
Die Baumstämme waren immer noch auf dem Hof aufgestapelt, niemand hatte sie bewegt, seit ich das letzte Mal hiergewesen war. Die Dunkelheit nahm mir jegliches Gefühl für Perspektive; die frischen Holzstapel waren helle Rechtecke, die über einem unsichtbaren Boden zu schweben schienen, zuerst weit weg, dann plötzlich so nah, daß sie meinen Rock streiften. Es roch nach Kiefernharz und Sägemehl.
Ich konnte nicht einmal den Boden unter meinen eigenen Füßen sehen, denn er wurde von der Dunkelheit und von meinem wogenden elfenbeinfarbenen Rock verdeckt. Jamie hielt meinen Arm fest, damit ich nicht stolperte. Selbstverständlich stolperte er nie. Vielleicht, dachte ich, hatte er eine Art Radar entwickelt, nachdem er sein ganzes Leben ohne einen Gedanken daran verbracht hatte, daß es auch nach Sonnenuntergang im Freien noch Licht geben könnte - wie eine Fledermaus.
Irgendwo bei den Sklavenhütten brannte ein Feuer. Es war sehr spät, die meisten schliefen wohl. Auf den Westindischen Inseln hätte es nächtelanges Trommeln und Wehklagen gegeben; die Sklaven hätten beim Tod eines Kameraden Totengesänge angestimmt und eine Woche lang Trauerfeierlichkeiten abgehalten. Hier tat sich nichts. Kein Geräusch, außer dem Rauschen der Kiefern, nicht die Spur einer Bewegung, nur das schwache Licht am Waldrand.
»Sie haben Angst«, sagte Jamie leise und hielt inne, um genau wie ich in die Stille zu horchen.
»Kein Wunder«, sagte ich. »Ich auch.«
Er gab ein leises Schnauben von sich, das Belustigung hätte ausdrücken können.
»Ich auch«, murmelte er, »aber nicht vor Geistern.« Er ergriff meinen Arm und schob die kleine Tür an der Seite der Sägemühle auf, bevor ich fragen konnte, wovor er denn Angst hatte.
Im Innenraum konnte man die Stille förmlich greifen. Zuerst kam sie mir vor wie die gespenstische Stille toter Schlachtfelder, doch dann erkannte ich den Unterschied. Diese Stille lebte. Und was auch immer hier in der Stille lebte, es ruhte nicht. Ich hatte das Gefühl, in der Luft immer noch das Blut riechen zu können.
Dann holte ich tief Luft, und es überlief mich kalt. Ich konnte tatsächlich Blut riechen. Frisches Blut.
Ich packte Jamies Arm, doch er hatte es selbst gerochen. Sein Arm war unter meiner Hand hart geworden, die Muskeln wachsam angespannt. Ohne ein Wort entzog er sich meinem Griff und verschwand.
Einen Augenblick lang dachte ich wirklich, er wäre verschwunden, und brach fast in Panik aus, als ich nach ihm tastete und meine Hand sich dort, wo er gestanden hatte, nur um Luft schloß. Dann begriff ich, daß er sich nur das dunkle Plaid über den Kopf geworfen hatte, um die Blässe seines Gesichtes und des Leinenhemdes zu verbergen. Ich hörte seine Schritte, schnell und leicht auf dem Lehmboden,
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