Der Ruf Der Trommel
haben. Wir haben einige Zeit draußen vor der Mühle gestanden und uns unterhalten, bevor wir hereingekommen sind; niemand hätte sich unbemerkt entfernen können.«
Andererseits hätte sich leicht jemand in dem anderen Zimmer verstecken und lautlos im Dunkeln davonschleichen können, während wir damit beschäftigt waren, der sterbenden Frau Beistand zu leisten. Falls Mr. Campbell nicht selbst auf diese Möglichkeit kam, sah ich auch keinen Grund, ihn darauf aufmerksam zu machen.
Als Mr. Campbell sich zu ihm zurückwandte, hatten Jamies Gesichtszüge wieder einen Ausdruck angemessenen Ernstes angenommen. Der ältere Mann schüttelte bedauernd den Kopf.
»Ach, die arme Unglückliche! Nun, vielleicht sollten wir erleichtert sein, daß niemand anders an ihrer Sünde beteiligt ist.«
»Was ist mit dem Mann, der das Kind gezeugt hat, das sie loszuwerden versucht hat?« sagte ich mit einer gewissen Schärfe. Mr. Campbell machte ein erschrockenes Gesicht, fing sich aber schnell wieder.
»Äh… ja, natürlich«, sagte er und hustete. »Wobei wir nicht wissen, ob sie verheiratet war -«
»Also kennt Ihr die Frau auch nicht?« fuhr Jamie dazwischen, ehe ich noch mehr unüberlegte Bemerkungen machen konnte.
Campbell schüttelte den Kopf.
»Sie ist keine Bedienstete von Mr. Buchanan oder den MacNeills, da bin ich mir sicher. Auch nicht von Richter Alderdyce. Dies sind die einzigen Plantagen, die so nah liegen, daß sie von dort hergelaufen sein könnte. Obwohl ich mich frage, warum sie ausgerechnet hierher gekommen sein sollte, um eine solche Verzweiflungstat zu begehen…«
Das hatten Jamie und ich uns auch gefragt. Um Mr. Campbell daran zu hindern, weiter in diese Richtung zu forschen, unterbrach Jamie ihn erneut.
»Sie hat nicht viel gesagt, aber sie hat einen ›Sergeant‹ erwähnt. ›Sagt es dem Sergeant‹, waren ihre Worte. Habt Ihr vielleicht eine Ahnung, wen sie damit gemeint haben könnte?«
»Ich glaube, ein Sergeant der Armee befehligt die Wache des königlichen Lagerhauses. Ja, da bin ich mir sicher.« Mr. Campbells Gesicht hellte sich ein wenig auf. »Ah! Ohne Zweifel hatte die Frau in irgendeiner Weise mit dem Militär zu tun. Verlaßt Euch darauf, das ist die Erklärung. Obwohl ich mich immer noch frage, warum sie -«
»Mr. Campbell, bitte verzeiht mir, aber ich fürchte, mir ist ein bißchen schwindelig«, unterbrach ich ihn und legte ihm eine Hand auf den Ärmel. Es war nicht gelogen, denn ich hatte weder geschlafen noch gegessen. Ich fühlte mich benommen von der Hitze und dem Gestank, und ich wußte, daß ich blaß aussehen mußte.
»Könnt Ihr meine Frau nach draußen begleiten?« fragte Jamie. Er wies auf das Bett und seine erbarmungswürdige Bürde. »Ich bringe dann die arme Kleine nach.«
»Bitte macht Euch nicht die Mühe, Mr. Fraser«, protestierte Campbell, während er sich bereits umwandte, um mich hinauszubegleiten. »Mein Diener kann die Leiche holen.«
»Es ist die Sägemühle meiner Tante, Sir, und daher meine Angelegenheit.« Jamie sprach höflich, aber bestimmt. »Ich kümmere mich darum.«
Phaedre wartete draußen beim Wagen.
»Hab’ Euch doch gesagt, da drin spukt’s«, sagte sie und betrachtete mich mit grimmiger Genugtuung. »Ihr seid bleich wie’n Leintuch, Ma’am.« Sie reichte mir eine Feldflasche mit gewürztem Wein und rümpfte vornehm die Nase.
»Ihr riecht schlimmer als letzte Nacht, und da habt Ihr so ausgeseh’n als kämt Ihr vom Schweineschlachten. Setzt euch mal da in den Schatten und trinkt das; das hilft.« Sie blickte mir über die Schulter. Ich wandte mich ebenfalls um und sah, daß Campbell im Schatten der Platanen am Flußufer angelangt war und nun in ein Gespräch mit seinem Bediensteten vertieft war.
»Hab’ sie gefunden«, sagte Phaedre sogleich mit leiser Stimme. Ihre Augen huschten seitwärts zu der kleinen Ansammlung von Sklavenhütten, die von dieser Seite der Sägemühle aus kaum zu sehen war.
»Sicher? Du hast schließlich nicht viel Zeit gehabt.« Ich nahm einen Schluck Wein und behielt ihn im Mund, froh um das scharfe Bouquet, das mir in der Kehle aufstieg und meinen Gaumen vom Geschmack des Todes reinigte.
Phaedre nickte, und ihr Blick wanderte zu den Männern unter den Bäumen.
»Hat nicht viel dazugehört. Bin zu den Hütten da drüben gegangen,
hab’ eine Tür offenstehen sehen, und überall haben Sachen rumgelegen, als hätte es jemand sehr eilig gehabt. Ich hab”nen kleinen Jungen gefragt, wer da wohnt. Er hat gesagt,
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