Der Ruf Der Trommel
Priester wohnte in Halifax, daher würde sie ohne Zeremonie beerdigt werden - doch was hätten ihr die Riten genützt? Beerdigungsrituale dienen den Hinterbliebenen zum Trost. Es war unwahrscheinlich, daß sie jemanden hinterlassen hatte, der um sie trauern würde, dachte ich, denn hätte ihr jemand nahegestanden - Familie, Ehemann, selbst ein Liebhaber -, dann wäre sie jetzt wahrscheinlich nicht tot.
Ich hatte sie nicht gekannt, sie würde mir nicht fehlen - doch ich trauerte um sie, um sie und ihr Kind. Und so kniete ich mich mehr um meinet- als um ihretwillen neben sie und verstreute meine Kräuter: duftend und bitter, Gartenraute und Ysopblüten, Rosmarin, Thymian
und Lavendel. Ein Strauß der Lebenden für die Tote - ein kleines Zeichen der Erinnerung.
Phaedre sah kniend zu und schwieg. Dann streckte sie die Hand aus und legte dem toten Mädchen das Leichentuch sanft über das Gesicht. Jamie war ebenfalls gekommen, um zuzusehen. Wortlos bückte er sich, hob sie auf und trug sie zum Wagen.
Er sagte nichts, bis ich eingestiegen war und mich neben ihn gesetzt hatte. Er ließ die Zügel auf die Pferderücken klatschen und schnalzte mit der Zunge.
»Dann wollen wir mal den Sergeant suchen«, sagte er.
Natürlich mußten wir uns zuerst um ein paar andere Dinge kümmern. Wir kehrten nach River Run zurück, um Phaedre zurückzubringen. Jamie verschwand, um Duncan zu suchen und seine schmutzige Kleidung zu wechseln, während ich nach meinem Patienten sah und Jocasta mit den Ereignissen des Morgens vertraut machte.
Ich hätte mir bei beiden die Mühe sparen können: Farquard Campbell saß im Frühstückszimmer und schlürfte Tee mit Jocasta, John Myers lag der Länge nach auf der grünen Chaiselongue ausgestreckt, ein Cameronplaid um seine Lenden geschlungen, und kaute fröhlich ein Brötchen. Der ungewohnten Sauberkeit seiner nackten Beine und Füße nach zu urteilen, die aus der Tartandecke ragten, hatte sich jemand in der Nacht zuvor den Zustand seiner vorübergehenden Bewußtlosigkeit zunutze gemacht und ihm ein Bad verabreicht.
»Meine Liebe.« Beim Klang meiner Schritte wandte Jocasta den Kopf und lächelte, obwohl ich Sorgenfalten zwischen ihren Augenbrauen sah. »Setz dich, Kind, und nimm etwas zu dir; du hast sicher letzte Nacht nicht geschlafen - und wie es scheint, hattest du einen furchtbaren Morgen.«
Normalerweise hätte ich es entweder amüsant oder beleidigend gefunden, wenn mich jemand »Kind« nannte; unter den gegenwärtigen Umständen war es seltsam beruhigend. Ich sank dankbar in einen Armsesseln, ließ mir von Ulysses eine Tasse Tee einschenken und fragte mich derweil, was genau Farquard Jocasta erzählt hatte - und wieviel er wußte.
»Wie geht es Euch heute morgen?« fragte ich meinen Patienten. Er schien sich in erstaunlich guter Verfassung zu befinden, wenn man bedachte, wieviel Alkohol er letzte Nacht konsumiert hatte. Er hatte eine gesunde Gesichtsfarbe, und wenn man nach der Menge der Krümel auf dem Teller neben ihm ging, war an seinem Appetit ebenfalls nichts auszusetzen.
Er nickte mir herzlich zu, während seine Kiefer geräuschvoll kauten, und schluckte dann etwas mühsam.
»Erstaunlich gut, Ma’am, besten Dank. Bißchen wund am Allerwertesten« - er klopfte sich sachte auf die betreffende Stelle -, »aber ich hab’ noch nie eine schönere Naht gesehen. Mr. Ulysses war so freundlich, mir einen Spiegel zu besorgen«, erklärte er. Er schüttelte den Kopf mit einiger Ehrfurcht.
»Hab’ noch nie meinen eigenen Hintern gesehen - bei all den Haaren, die ich da habe, könnte man meinen, daß mein Papa ein Bär war!«
Er lachte herzhaft, und Farquard Campbell verbarg ein Lächeln in seiner Teetasse. Ulysses wandte sich mit dem Tablett ab, doch ich sah seine Mundwinkel zucken.
Jocasta lachte laut auf, und die Belustigung umgab ihre blinden Augen mit Fältchen.
»Man sagt, das Kind, das seinen Vater kennt, muß schlau sein, John Quincy. Aber ich habe deine Mutter gut gekannt, und ich würde sagen, es ist ziemlich unwahrscheinlich.«
»Tja, meiner Mama haben die haarigen Männer gefallen. Hat gemeint, die wären so gemütlich in kalten Winternächten.« Er blinzelte in seinen offenen Hemdkragen und betrachtete das Gestrüpp, das dort zum Vorschein kam, mit einiger Genugtuung. »Könnte schon sein. Den Indianermädchen scheint es zu gefallen - obwohl es vielleicht nur der Reiz des Neuen ist, wenn man es recht bedenkt. Ihre eigenen Männer haben kaum Pelz an den Eiern,
Weitere Kostenlose Bücher