Der Ruf Der Trommel
immerhin hatte der Schuft aufgehört zu lachen.
»Sassenach, du hast mich dutzendmal so gut wie tot gesehen und hast nicht mit der Wimper gezuckt. Warum zum Kuckuck regst du dich jetzt so auf, obwohl ich nicht einmal krank bin?«
»Nicht mit der Wimper gezuckt?« Ich starrte ihn in wütendem Erstaunen an. »Du meinst, es hat mir nichts ausgemacht?«
Er rieb sich mit dem Finger über seine Oberlippe und betrachtete mich mit einiger Belustigung.
»Oh. Hm. Natürlich hatte ich das Gefühl, daß du dir Sorgen
machst. Aber ich muß zugeben, daß ich es noch nie aus diesem Blickwinkel betrachtet habe.«
»Natürlich nicht. Und wenn du es getan hättest, liefe es doch auf dasselbe heraus. Du - du - Schotte!« Es war die schlimmste Beschimpfung, die mir einfiel. Da ich keine Worte mehr fand, drehte ich mich um und stapfte davon.
Unglücklicherweise hat Stapfen eine relativ geringe Wirkung, wenn man es barfuß auf einer Wiese tut. Ich trat auf etwas Scharfes, schrie leise auf und hinkte noch ein paar Schritte, bevor ich stehenbleiben mußte.
Ich war auf eine Klette getreten; ein halbes Dutzend Stacheln steckte in meiner nackten Fußsohle, und Blutstropfen quollen aus den kleinen Einstichen. Leise fluchend und unsicher auf einem Bein balancierend, versuchte ich, sie herauszuziehen.
Ich wankte und fiel fast hin. Eine starke Hand ergriff mich unter dem Ellbogen und stützte mich. Ich biß die Zähne zusammen und riß den Rest der Klettenstacheln heraus. Ich entzog ihm meinen Ellbogen, machte auf dem Absatz kehrt und ging - sehr viel vorsichtiger - zu der Stelle zurück, wo ich meine Kleider liegengelassen hatte.
Ich warf den Umhang ab und begann, mich so würdevoll wie möglich anzuziehen. Jamie stand mit verschränkten Armen da und sah mir kommentarlos zu.
»Als Gott Adam aus dem Paradies geworfen hat, hat Eva ihn immerhin begleitet«, sagte ich zu meinen Fingern, während ich das Zugband meiner Hosen festzog.
»Aye, das ist wahr«, stimmte er nach einer vorsichtigen Pause zu. Er warf mir einen Seitenblick zu, um zu sehen, ob ich vorhatte, erneut auf ihn einzuschlagen.
»Äh - du hast nicht zufällig ein paar von diesen Pflanzen gegessen, die du heute morgen gepflückt hast, oder, Sassenach? Nein, habe ich auch nicht gedacht«, fügte er hastig hinzu, als er meinen Gesichtsausdruck sah. »War nur so ein Gedanke. Myers sagt, von manchen Sachen hier bekommt man heftige Alpträume.«
»Ich habe keine Alpträume«, sagte ich mit mehr Nachdruck, als nötig gewesen wäre, wenn ich die Wahrheit gesagt hätte. Ich hatte Alpträume im Wachen, die allerdings nicht von der Einnahme halluzinogener Pflanzensubstanzen herrührten.
Er seufzte.
»Hast du vor, mir geradeheraus zu sagen, wovon du redest, Sassenach, oder möchtest du, daß ich erst ein bißchen leide?«
Ich starrte ihn wütend an, wie üblich hin- und hergerissen zwischen
dem Drang zu lachen und dem Drang, mit einem stumpfen Gegenstand auf ihn einzuschlagen. Dann besiegte eine Welle der Verzweiflung das Lachen und die Wut. Schicksalsergeben ließ ich die Schultern sinken.
»Ich rede von dir«, sagte ich.
»Von mir? Warum?«
»Weil du ein verdammter Highlander bist und es dir nur um Ehre und Mut und Treue geht, und ich weiß, daß du nichts daran ändern kannst, das würde ich auch gar nicht wollen, nur - nur, verdammt, es wird dich nach Schottland führen und dich umbringen, und ich kann nichts dagegen tun!«
Er sah mich mit ungläubigem Blick an.
»Schottland?« sagte er, als hätte ich etwas völlig Verrücktes gesagt.
»Schottland! Wo dein verdammtes Grab ist!«
Er fuhr sich langsam mit der Hand durch die Haare und sah mich von oben herab an.
»Oh«, sagte er schließlich. »Ich verstehe schon. Du meinst, wenn ich nach Schottland fahre, muß ich dort sterben, weil ich dort begraben werde. Ist es so?«
Ich nickte, zu aufgeregt zum Sprechen.
»Mmpf. Und warum genau meinst du, daß ich nach Schottland fahre?« fragte er vorsichtig.
Ich starrte ihn entnervt an und deutete auf die Wildnis um uns herum.
»Wo zum Teufel willst du denn sonst Siedler für dieses Land herbekommen? Natürlich fährst du nach Schottland.«
Jetzt sah er mich seinerseits entnervt an.
»Wie um Himmels willen meinst du, daß ich das tun soll, Sassenach? Ich hätte es vielleicht tun können, als ich die Edelsteine noch hatte, aber jetzt? Ich habe gerade mal zehn Pfund, und die sind geliehen. Soll ich vielleicht wie ein Vogel nach Schottland fliegen? Und die Leute auf dem Rückweg
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