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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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spielte.
    Die Musik verstummte. Es folgte erwartungsvolle Stille, und dann ertönten kraftvoll die Klänge von »Auf, gläubige Seelen«.
    Roger erhob sich mit dem Rest der Gemeinde, als die Prozession durch den Mittelgang kam, angeführt von einigen weißgewandeten Meßdienern. Einer davon schwenkte ein Weihrauchfaß, das duftende Rauchwölkchen in die Menge schickte. Ein anderer trug ein Buch und ein dritter ein großes Kruzifix mit einer grausigen Christusfigur, deren schreiend rote Farbe sich blutig im rot-goldenen priesterlichen Ornat wiederholte.
    Unwillkürlich verspürte Roger einen Anflug von schockiertem Widerwillen; diese Mischung aus heidnischem Brauchtum und dem Auf und Ab lateinischer Gesänge war seinen unbewußten Vorstellungen von dem, was sich in einer Kirche gehörte, völlig fremd.
    Doch als die Messe ihren Lauf nahm, kam ihm alles normaler vor; es gab Lesungen aus der Bibel, die ihm durchaus bekannt waren, und dann kam das gewohnte Absinken in die irgendwie angenehme Langeweile einer Predigt, in deren Verlauf die unvermeidlichen Weihnachtsbotschaften von »Frieden«, »gutem Willen« und »Liebe« an die Oberfläche seines Bewußtseins stiegen, träge wie weiße Lilien, die auf einem Teich aus Worten trieben.

    Als sich die Gemeinde schließlich wieder erhob, hatte Roger jedes Gefühl der Fremdheit verloren. Inmitten des warmen, vertrauten Kirchenmiefs aus Bohnerwachs, feuchter Wolle, Leuchtpetroleum und einem leichten Hauch von Whisky, mit dem sich einige der Kirchgänger für den langen Gottesdienst gestärkt hatten, bemerkte er den süßen, erdigen Geruch des Weihrauchs kaum noch. Er atmete tief ein und glaubte, den Hauch frischen Grases von Briannas Haar aufzufangen.
    Es leuchtete im gedämpften Licht des Querschiffs, dicht und weich auf dem dunklen Violett ihres Pullovers. Die kupfernen Funken wurden vom Dämmerlicht gedämpft, so daß es die rotbraune Farbe eines Hirschfells hatte und ihm dasselbe Gefühl hilfloser Sehnsucht einflößte, das er verspürt hatte, als ihn einmal ein Reh auf einem Highlandpfad überrascht hatte - das starke Verlangen, es zu berühren, das wilde Wesen zu streicheln und es irgendwie bei sich zu behalten, gepaart mit der Gewißheit, daß das geringste Zucken seines Fingers es in die Flucht schlagen würde.
    Was man auch immer von Paulus halten mochte, dachte er, der Mann hatte gewußt, wovon er sprach, als es um das Haar der Frauen ging. Unziemliche Lust, was? Er dachte plötzlich an den kahlen Flur und den Dampf, der von Briannas Körper aufstieg, an die feuchten, kühlen Haarschlangen auf seiner Haut. Er wandte den Blick ab und versuchte, sich auf die Vorgänge am Altar zu konzentrieren, wo der Priester eine große, flache Brotscheibe hochhielt, während ein kleiner Junge wie wild ein Glockenspiel schüttelte.
    Er sah ihr zu, als sie nach vorn ging, um die Kommunion zu empfangen, und schreckte leicht zusammen, als er sich bewußt wurde, daß er wortlos betete.
    Er entspannte sich ein wenig, als er den Inhalt seines Gebetes erkannte; es war nicht das unwürdige »Gib, daß sie die Meine wird«, das er erwartet hätte. Es war das bescheidenere - und annehmbarere, so hoffte er - »Gib, daß ich ihrer würdig bin, daß ich sie richtig liebe; gib, daß ich für sie sorgen darf.« Er nickte zum Altar, bemerkte dann den seltsamen Blick des Mannes neben ihm und richtete sich auf, wobei er sich verlegen räusperte, als hätte man ihn bei einem sehr persönlichen Gespräch überrascht.
    Sie kam zurück, die Augen weit offen und auf etwas tief in ihrem Inneren gerichtet, ein leichtes, verträumtes Lächeln auf ihrem breiten, schönen Mund. Sie kniete nieder, und er tat es ihr nach.
    Jetzt waren ihre Züge weich, doch es war kein sanftes Gesicht. Streng, mit einer geraden Nase und dichten roten Brauen, die nur durch ihren eleganten Schwung nicht wuchtig wirkten. Kinn und
Wangen waren so klar geformt, als wären sie aus weißem Marmor gemeißelt, es war ihr Mund, der sich von einem Moment zum nächsten verändern konnte, sich von sanfter Großzügigkeit in den Mund einer mittelalterlichen Äbtissin verwandeln konnte, deren Lippen in der kühlen Versteinerung des Zölibates versiegelt waren.
    Die Stimme, die neben ihm mit schwerem Glasgower Akzent »Stille Nacht« dröhnte, riß ihn unsanft aus seinen Gedanken, gerade rechtzeitig, daß er sehen konnte, wie der Priester den Mittelgang entlangrauschte, umringt von seinen Meßdienern und einer Wolke aus triumphierendem

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