Der Ruf Der Trommel
folgte ein erneuter Ausbruch der Empörung. »Was? Du denkst an diesen verfluchten Jamie Fraser? Du meinst, du kannst dich nicht mit einem langweiligen Historiker zufriedengeben - du mußt eine - eine große Leidenschaft finden, wie sie sie für ihn empfunden hat, und du meinst, daß ich dir da vielleicht nicht genüge?«
»Nein! Ich denke nicht an Jamie Fraser! Ich denke an meinen Vater!« Sie schob die Hände tief in ihre Jackentaschen und schluckte heftig. Sie hatte aufgehört zu weinen, doch an ihren Wimpern hingen Tränen und klebten sie zu kleinen Stacheln zusammen.
»Es war ihr ernst, als sie ihn geheiratet hat - ich konnte es sehen auf den Bildern, die du mir gegeben hast. Sie hat gesagt: ›In guten wie in schlechten Zeiten‹ - und sie hat es auch so gemeint . Und dann… dann hat sie Jamie Fraser getroffen und es nicht mehr so gemeint.«
Ihr Mund zuckte, während sie um Worte rang.
»Ich - ich mache ihr eigentlich keine Vorwürfe, nicht, nachdem ich darüber nachgedacht habe. Sie konnte nichts dafür, und ich - wenn sie von ihm gesprochen hat, dann konnte ich sehen, wie sehr sie ihn geliebt hat - aber verstehst du nicht, Roger? Sie hat meinen Vater auch geliebt, und es war nicht ihre Schuld - aber es hat sie dazu gebracht, ihr Wort zu brechen. Ich werde das nicht tun, um nichts in der Welt.«
Sie fuhr sich mit der Hand unter der Nase entlang, und er gab ihr schweigend das Taschentuch zurück. Sie blinzelte die Tränen zurück und sah ihn direkt an.
»Es dauert noch über ein Jahr, bis wir zusammen sein können. Du kannst nicht aus Oxford weg, und ich kann nicht aus Boston weg, solange ich meinen Abschluß nicht habe.«
Er wollte sagen, daß er kündigen könnte, daß sie ihre Ausbildung abbrechen könnte - doch er schwieg. Sie hatte recht, keiner von ihnen wäre mit einer solchen Lösung glücklich.
»Was ist also, wenn ich jetzt ja sage und dann etwas passiert? Was, wenn - wenn ich jemand anderen kennenlerne, oder du?« Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen und eine lief ihr über die Wange. »Ich will nicht riskieren, dich zu verletzen. Nein.«
»Aber jetzt liebst du mich?« Er berührte sanft mit dem Finger ihre Wange. »Brianna, liebst du mich?«
Sie trat einen Schritt vor und öffnete wortlos die Verschlüsse ihrer Jacke.
»Was zum Teufel machst du da?« Blankes Erstaunen gesellte sich zu all den anderen Gefühlen, und dann folgte eine ganz andere Empfindung, als ihre langen, blassen Finger den Reißverschluß seiner Jacke nahmen und ihn herunterzogen.
Der kalte Luftzug wurde von der Wärme ihres Körpers erstickt, der sich vom Hals bis zu den Knien an ihn preßte.
Seine Arme wanderten automatisch um ihren ausgepolsterten Rücken, und sie hatte die Arme unter seiner Jacke fest um ihn geschlungen. Ihr Haar roch kalt und süß, die letzten Weihrauchspuren waren noch in den schweren Locken gefangen und vermischten sich mit dem Duft nach Gras und Jasminblüten. Er sah eine Haarnadel aufleuchten, bronzenes Metall in den Kupferschlingen ihres Haars.
Keiner von beiden sagte etwas. Er spürte ihren Körper durch die dünnen Kleiderschichten hindurch, und das Verlangen schoß ihm wie ein Blitz an den Beinen hoch, als stünde er auf einem elektrischen Gitter. Er hob ihr Kinn an und legte seinen Mund auf den ihren.
»…siehst du da, Jackie Martin mit einem neuen Pelzkragen am Mantel?«
»Och, wo sie wohl das Geld für so was her hat, wo doch ihr Mann schon sechs Monate arbeitslos ist? Ich sage dir, Jessie, die Frau… ooh!«
Das Klappern der Absätze auf dem Bordstein verstummte, und dann ertönte ein so kräftiges Räuspern, daß es ausgereicht hätte, um die Toten zu erwecken.
Roger umfaßte Brianna fester und rührte sich nicht. Als Antwort umarmte sie ihn noch stärker, und er spürte die Wölbung ihres Mundes unter dem seinen.
»MMPF!«
»Ach, komm schon, Chrissie«, zischelte es hinter ihm. »Laß sie in Ruhe, aye? Kannst du nicht sehen, daß das’ne Verlobung wird?«
»Mmmpf«, erklang es noch einmal, diesmal aber leiser. »Mpf. Das wird was ganz anderes, wenn die zwei noch lange so weitermachen.
Na ja…« Ein langer Seufzer voll Nostalgie. »Ach ja, es ist schön, jung zu sein, nicht wahr?«
Doppeltes Absatzklappern kam näher, viel langsamer, ging vorbei und verhallte im Nebel, bis es nicht mehr zu hören war.
Er blieb noch eine Minute stehen, dann rang er sich dazu durch, sie loszulassen. Doch wenn ein Mann einmal die Mähne des Wasserpferdes berührt hat, kann er nicht
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