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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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was?«
    »Ja«, sagte ich. »Sei still und hör zu.«
    Ich konnte beim Reden meinen Atem sehen; weiß hing er in der nebligen, kalten Luft. Außerhalb unseres Unterschlupfes schneite es heftig; immer wenn ich eine Pause beim Erzählen machte, hörte ich Schnee auf die Hemlockzweige rieseln, und weiter weg heulte der Wind in den Bäumen.
    Ich kannte die Geschichte sehr gut; sie hatte zu unserem Weihnachtsritual gehört - Franks, Briannas und meinem. Seit Briannas fünftem oder sechstem Lebensjahr hatten wir jedes Jahr Ein Weihnachtsmärchen gelesen. Ein oder zwei Wochen vor Weihnachten hatten wir damit angefangen, und Frank und ich hatten ihr abwechselnd jede Nacht vor dem Schlafengehen daraus vorgelesen.
    »Und der Geist sagte: ›Ich bin der Geist der vergangenen Weihnacht…‹«
    Ich mochte vielleicht nicht im Begriff sein zu erfrieren, doch die Kälte hatte trotzdem eine seltsam hypnotische Wirkung. Die Phase, in der sie mir Beschwerden verursacht hatte, war vorbei, und jetzt fühlte ich mich irgendwie körperlos. Ich wußte, daß meine Hände und Füße eisig waren, doch es schien keine Rolle mehr zu spielen. Ich schwebte in einem friedvollen, weißen Nebel und sah die Worte wie Schneeflocken um meinen Kopf herumwirbeln, während ich sie sprach.
    »… und da war der gute, alte Fezziwig und Lichter und Musik…«
    Ich konnte nicht sagen, ob ich langsam auftaute oder ob mir kälter wurde. Ich war mir eines Zustandes allgemeiner Entspannung bewußt und eines völlig merkwürdigen Déjà-vu-Gefühls, als wäre ich schon einmal so eingeschlossen, vom Schnee umhüllt gewesen, kuschelig, obwohl draußen alles trostlos war.
    Als Bob Cratchit mit seinem mageren Vogel ankam, fiel es mir wieder ein. Ich redete automatisch weiter, und der Fluß der Geschichte kam von irgendwo weit unterhalb meiner Bewußtseinsebene, und in meiner Erinnerung saß ich auf dem Vordersitz eines liegengebliebenen 1956er Oldsmobiles, dessen Windschutzscheibe schneeverkrustet war.

    Wir waren unterwegs zu einem älteren Verwandten Franks in irgendeiner nördlichen Provinz des Bundesstaates New York gewesen. Auf halbem Weg hatte heftiger Schneefall eingesetzt, und Windböen waren über die vereisten Straßen gefegt. Ehe wir uns versahen, waren wir von der Straße in einen Graben geschlittert, während unsere Scheibenwischer vergeblich gegen die herabkommenden Schneemassen ankämpften.
    Wir konnten nur auf den Morgen und auf Rettung warten. Wir hatten einen Picknickkorb und ein paar alte Decken dabei; wir holten Brianna zu uns auf den Vordersitz und kuschelten uns alle unter unseren Mänteln und den Decken aneinander, schlürften lauwarmen Kakao aus der Thermoskanne und machten Witze, damit sie keine Angst bekam.
    Als es später und kälter wurde, rückten wir noch näher zusammen, und um Brianna abzulenken, begann Frank ihr Dickens’ Geschichte aus dem Gedächtnis zu erzählen, wobei er darauf zählte, daß ich einsprang, wenn ihm etwas nicht einfiel. Keiner von uns hätte es allein geschafft, doch zusammen kamen wir gut zurecht. Nachdem der unheimliche Geist der zukünftigen Weihnacht erschienen war, schlief Brianna fest und gemütlich unter den Mänteln, ein warmes, weiches Gewicht an meiner Seite.
    Wir hätten die Geschichte nicht unbedingt zu Ende erzählen müssen, doch wir taten es trotzdem, und unsere Hände berührten sich unter dem Deckenberg, als wir auch jenseits der Worte miteinander sprachen. Ich erinnerte mich an Franks Hände, warm und kraftvoll auf den meinen; sein Daumen streichelte meine Handfläche und umfuhr meine Finger. Frank hatte meine Hände immer geliebt.
    Das Auto hatte sich mit dem Nebel unseres Atems gefüllt, und Wassertropfen waren an den Innenseiten der beschlagenen Fenster heruntergelaufen. Franks Kopf war wie eine dunkle Kamee gewesen, die sich schwach vor dem weißen Hintergrund abzeichnete. Ganz am Ende hatte er sich an mich gelehnt, seine Nase und Wangen kühl, seine Lippen warm auf den meinen, als er die letzten Worte der Geschichte flüsterte.
    »Gott segne uns, einen jeden von uns«, schloß ich, und dann lag ich still, eine kleine Nadel aus Schmerz wie einen Eissplitter im Herzen. Es war still in unserem Unterschlupf, und es kam mir jetzt dunkler vor; da der Schnee alle Öffnungen zugedeckt hatte.
    Jamie streckte die Hand nach hinten aus und berührte mein Bein.
    »Steck deine Hände in mein Hemd, Sassenach«, sagte er leise. Ich ließ eine Hand vorn in sein Hemd gleiten, so daß sie auf seiner

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