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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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zum ersten Mal, ob er vielleicht etwas mit der Erscheinung zu tun hatte, die ich auf dem Berg gesehen hatte, dem Indianer mit dem schwarz bemalten Gesicht.
    Der Geist - wenn es ein Geist gewesen war - hatte nicht gelächelt oder gesprochen. Ich hatte seine Zähne nicht gesehen, den einzigen Anhaltspunkt für einen Vergleich mit dem Schädel in meiner Hand - denn ich ertappte mich dabei, wie ich mit dem Daumen über den gezackten Rand seines gesprungenen Schneidezahns fuhr. Ich hob den Schädel ins Licht und untersuchte ihn im weichen Licht des Sonnenuntergangs aus der Nähe.
    Auf der einen Seite waren seine Zähne zertrümmert, waren gesprungen und zersplittert, als sei sein Mund mit aller Gewalt getroffen worden, vielleicht von einem Stein oder einem Knüppel - einem Gewehrschaft? Auf der anderen Seite waren sie unversehrt, sogar in sehr gutem Zustand. Ich war keine Expertin, glaubte aber, daß es der Schädel eines erwachsenen Mannes Ende Dreißig oder Anfang Vierzig war. Ein Mann in diesem Alter hätte recht abgenutzte Zähne haben sollen, wenn man in Betracht zog, daß sich die Indianer von Maismehl ernährten, das aufgrund ihrer Art, den Mais zwischen flachen
Steinen zu zermalmen eine beträchtliche Menge gemahlenen Steins enthielt.
    Doch die Schneide- und Eckzähne auf der guten Seite waren kaum abgenutzt. Ich drehte den Schädel um, um den Zustand der Backenzähne zu begutachten, und hielt jäh inne.
    Mir war plötzlich kalt, trotz der Wärme des Feuers in meinem Rücken. So kalt, wie mir gewesen war, als ich mich in der Dunkelheit verirrt hatte, ohne Feuer, allein auf dem Berg mit dem Kopf eines toten Mannes. Denn die Abendsonne ließ jetzt an meinen Händen das silberne Band meines Eherings aufleuchten - und ebenso die Silberfüllungen im Mund meines verstorbenen Freundes.
    Einen Moment lang saß ich da und starrte vor mich hin, dann drehte ich den Schädel um und legte ihn so sanft auf den Tisch, als wäre er aus Glas.
    »Mein Gott«, sagte ich, und alle Müdigkeit war vergessen. »Mein Gott«, sagte ich zu seinen leeren Augen und seinem schiefen Grinsen. »Wer bist du gewesen?«
     
    »Was meinst du, wer er gewesen sein könnte?« Jamie berührte den Schädel vorsichtig. Uns blieben nur wenige Momente; Duncan war zum Abort gegangen, und Ian fütterte die Schweine. Doch ich konnte es nicht ertragen zu warten - ich hatte es sofort jemandem sagen müssen.
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Außer natürlich, daß er jemand… wie ich gewesen sein muß.« Ich erschauerte heftig. Jamie sah mich an und runzelte die Stirn.
    »Du hast dich doch nicht erkältet, oder, Sassenach?«
    »Nein.« Ich lächelte schwach zu ihm hoch. »Mich überläuft es nur kalt.«
    Er holte mein Schultertuch vom Haken an der Tür und warf es in einem Schwung um mich. Dann legte er die Hände auf meine Schultern, warm und beruhigend.
    »Es bedeutet noch etwas, nicht wahr?« fragte er leise. »Es bedeutet, es gibt noch eine… Stelle. Vielleicht in der Nähe.«
    Noch ein Steinkreis - oder etwas Ähnliches. Ich hatte auch schon daran gedacht, und der Gedanke ließ mich erneut erschauern. Jamie sah den Schädel nachdenklich an, zog sich dann das Taschentuch aus dem Ärmel und drapierte es sanft über die leeren Augen.
    »Ich begrabe ihn nach dem Abendessen«, sagte er.
    »Oh, das Abendessen.« Ich schob mir die Haare hinter das Ohr und versuchte, meine zerstreuten Gedanken auf das Abendessen zu
konzentrieren. »Ja, mal sehen, ob ich ein paar Eier finden kann. Das geht schnell.«
    »Mach dir keine Mühe, Sassenach.« Jamie blickte in den Topf auf dem Herdfeuer. »Wir können das hier essen.«
    Diesmal erschauerte ich nur, weil ich wählerisch war.
    »Igitt«, sagte ich. Jamie grinste mich an.
    »Du hast doch nichts gegen eine gute Gerstensuppe, oder?«
    »Falls es so etwas überhaupt gibt«, antwortete ich und blickte angewidert in den Topf. »Das hier riecht eher wie Braumaische.« Die Suppe war mit feuchten Körnern gekocht worden, und zwar nicht lange genug, dann hatte man sie stehenlassen; und nun strömte die kalte, schaumige Suppe bereits den Hefegeruch der Fermentierung aus.
    »Apropos«, sagte ich und stieß den feuchten Gerstensack mit den Zehen an, »das hier muß zum Trocknen ausgebreitet werden, bevor es verschimmelt, falls das nicht schon passiert ist.«
    Jamie starrte auf die ekelerregende Suppe, die Augenbrauen nachdenklich zusammengezogen.
    »Aye?« sagte er dann geistesabwesend. »Oh, aye. Ich mache das.« Er drehte den

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