Der Ruf Der Trommel
mußte. Sie hatte natürlich von dem Jungen gewußt, aber keine Frau sollte es ertragen müssen, den Fleisch und Blut gewordenen Beweis
dafür zu sehen, daß ihr Mann das Bett einer anderen geteilt hatte. Kein Wunder, daß sie John am liebsten mit heißen Nadeln gestochen hätte, hatte er ihr den Jungen doch einfach so vor die Nase gesetzt.
»Es dauert nur einen Moment, bis er durchgezogen ist«, versicherte er dem Jungen, während er die duftende Mischung zwischen seinen Fingern in einen Holzbecher zerrieb, wie er es bei Claire gesehen hatte.
Sie hatte ihm keine Vorwürfe gemacht. Zumindest nicht in diesem Fall , dachte er und erinnerte sich plötzlich, wie sie sich aufgeführt hatte, als sie von Laoghaire erfahren hatte. Da hatte sie sich wie eine Besessene auf ihn gestürzt, und doch, als sie später von Geneva Dunsany gehört hatte… vielleicht lag es nur daran, daß die Mutter des Jungen tot war?
Die Erkenntnis durchfuhr ihn wie ein Schwerthieb. Die Mutter des Jungen war tot. Nicht nur seine wirkliche Mutter, die am Tag seiner Geburt gestorben war - sondern auch die Frau, die er sein Leben lang Mutter gerufen hatte. Und jetzt lag sein Vater - oder zumindest der Mann, den er Vater nannte, dachte Jamie mit einem unbewußten Zucken seines Mundes - mit einer Krankheit darnieder, die nur wenige Tage zuvor einen anderen Mann vor den Augen des Jungen das Leben gekostet hatte.
Nein, es war nicht Angst, die den Jungen in der Dunkelheit vor sich hinweinen ließ. Es war Schmerz, und Jamie Fraser, der selbst als Kind seine Mutter verloren hatte, hätte das von Anfang an wissen sollen.
Nicht aus Sturheit, nicht einmal aus Loyalität hatte Willie darauf bestanden, in Fraser’s Ridge zu bleiben. Er hatte es aus Liebe zu John Grey getan und aus Angst davor, ihn zu verlieren. Und genau diese Liebe war es, die den Jungen in der Nacht zum Weinen brachte, verzweifelt vor Sorge um seinen Vater.
Ungewohnte Eifersucht sprang wie Unkraut in Jamies Herzen auf, beißend wie Brennesseln. Er zertrat sie entschlossen; was für ein Glück, daß er sicher sein konnte, daß sein Sohn eine liebevolle Beziehung zu seinem Stiefvater hatte. So, das Unkraut war zertreten. Doch die Fußtritte schienen eine kleine, wunde Stelle in seinem Herzen hinterlassen zu haben; er konnte sie beim Atmen spüren.
Das Wasser begann, im Kessel zu rumoren. Er goß es vorsichtig über die Kräutermischung, und mit dem Dampf stieg ein süßer Duft auf. Baldrian, hatte sie gesagt, und Katzenminze. Die Wurzel einer Passionsblume, in Honig getränkt und fein gemahlen. Und schließlich der süße, etwas erdige Geruch des Lavendels.
»Trink ihn nicht selbst«, hatte sie beiläufig gesagt, als sie ihm den Tee gab. »Er enthält Lavendel.«
Eigentlich hatte er damit keine Probleme, wenn er gewarnt war. Nur, wenn ihn dann und wann ein unerwarteter Lavendelhauch traf, dann fuhr ihm eine Welle der Übelkeit durch den Unterleib. Claire hatte diese Wirkung zu oft an ihm erlebt, um sich dessen nicht bewußt zu sein.
»Hier.« Er beugte sich vor, gab dem Jungen den Becher und fragte sich, ob auch ihn der Duft des Lavendels von jetzt an für immer beunruhigen würde oder ob er darin eine tröstende Erinnerung finden würde. Das, so glaubte er, konnte sehr wohl davon abhängen, ob John Grey überlebte oder starb.
Durch die Atempause hatte Willie äußerlich seine Fassung wiedergefunden, doch der Schmerz war ihm immer noch ins Gesicht geschrieben. Jamie lächelte dem Jungen zu und verbarg seine eigene Sorge. So, wie er John und Claire kannte, hatte er weniger Angst als der Junge - doch die Furcht war nach wie vor da, hartnäckig wie ein Dorn in seiner Fußsohle.
»Das wird Euch helfen«, sagte er und wies mit einem Kopfnicken auf den Becher. »Meine Frau hat ihn gemacht, sie ist eine große Heilerin.«
»Ja?« Der Junge atmete den Dampf tief und zitternd ein und berührte die heiße Flüssigkeit vorsichtig mit der Zunge. »Ich habe gesehen, wie sie - etwas gemacht hat. Mit dem Indianer, der gestorben ist.« Die Anklage war deutlich; sie hatte etwas gemacht, und der Mann war dennoch gestorben.
Weder Claire noch Ian hatten viele Worte darüber verloren, und er hatte keine Gelegenheit gehabt, sie zu fragen, was geschehen war - sie hatte die Augenbraue hochgezogen und ihm einen kurzen, goldenen Blick zugeworfen, der ihn beschwor, nicht vor Willie davon zu reden, der blaßgesichtig und kalt mit ihr aus dem Maisspeicher zurückgekehrt war.
»Aye?« sagte er neugierig.
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