Der Ruf Der Trommel
seines Vaters. Kein Geräusch, keine Berührung - und doch hatte er gehört und gespürt. Sein Körper schien seinen eigenen Reim darauf zu machen und die unfaßbaren Phänomene der Zeit in meßbare Werte zu übersetzen.
Er hob den Kopf von den Knien, atmete tief durch und fand langsam den Kontakt zu seinem Körper wieder.
»Ich habe an meinen Vater gedacht«, sagte er. »Als ich durch den Felsen trat, hatte ich gerade gedacht, wenn es funktioniert, könnte ich zurückgehen und ihn finden. Und ich… habe es getan.«
»Wirklich? Deinen Vater? War er ein Geist, meinst du das?« Er spürte das Zucken ihrer Hand mehr, als daß er sah, wie sie das Zeichen des Horns gegen das Böse machte.
»Nein. So nicht. Ich - ich kann es nicht erklären, Fiona. Aber ich bin ihm begegnet; ich habe ihn erkannt.« Das Gefühl des Friedens war nicht völlig von ihm gewichen; sanft kribbelnd schwebte es in seinem Unterbewußtsein. »Dann war da - so etwas wie eine Explosion, anders kann ich es nicht beschreiben. Etwas hat mich getroffen, hier.« Seine Finger berührten die Brandstelle auf seiner Brust. »Es hat mich mit Gewalt… hinausgedrückt, und das ist alles, woran ich mich erinnern kann, bis ich aufgewacht bin.« Er berührte sanft ihr Gesicht. »Danke, Fi; du hast mich vor dem Verbrennen gerettet.«
»Och, jetzt mach aber’nen Punkt.« Sie tat seinen Dank mit einer ungeduldigen Geste ab. Sie hockte sich auf ihre Fersen und rieb sich nachdenklich das Kinn.
»Ich überlege gerade, Rog - was in ihrem Buch stand, daß man vielleicht geschützt ist, wenn man einen Edelstein dabeihat. Das Medaillon von deiner Mutter war doch mit kleinen Juwelen besetzt, oder?« Er konnte hören, wie sie schluckte. »Vielleicht - wenn du es nicht gehabt hättest - hättest du es nicht überlebt. Sie hat doch von den Leuten gesprochen, die es nicht überlebt haben. Sie hatten Verbrennungen - und deine Wunde ist da, wo das Medaillon war.«
»Ja. Das könnte sein.« Roger begann, sich mehr wie er selbst zu fühlen. Er sah Fiona neugierig an.
»Du sprichst immer von ›der‹. Warum sagst du nie ihren Namen?«
Fionas Locken bewegten sich im Morgenwind, als sie sich umwandte, um ihn anzusehen. Es war jetzt so hell, daß er ihr Gesicht mit seinem verwirrend direkten Ausdruck deutlich sehen konnte.
»Man nennt nur etwas beim Namen, wenn man will, daß es auch kommt«, sagte sie. »Das mußt du doch wissen, wo doch dein Vater Priester war.«
Die Haare auf seinen Unterarmen richteten sich auf, obwohl sie von Hemd und Rock bedeckt waren.
»Jetzt, wo du es sagst«, sagte er, um einen scherzhaften Ton bemüht, der ihm gründlich danebengeriet. »Ich habe den Namen meines Vaters nicht direkt ausgerufen, aber vielleicht… Dr. Randall hat gesagt, sie hat bei ihrer Rückkehr an ihren Mann gedacht.«
Fiona nickte stirnrunzelnd. Er konnte ihr Gesicht deutlich erkennen und begriff erschrocken, daß es heller wurde. Die Dämmerung war nahe; der Himmel im Osten hatte die schimmernde Farbe von Lachsschuppen.
»Himmel, es ist fast Morgen. Ich muß los!«
»Los?« Fionas Augen weiteten sich vor Schrecken. »Du willst es doch nicht noch einmal versuchen?«
»Doch. Ich muß.« Sein Mund war völlig ausgetrocknet, und er bedauerte, daß Fiona den ganzen Kaffee dazu benutzt hatte, ihn zu löschen. Er kämpfte gegen das hohle Gefühl in seinem Bauch an und kämpfte sich hoch. Seine Knie waren weich, doch er konnte gehen.
»Bist du verrückt, Rog? Es wird dich mit Sicherheit umbringen!«
Er schüttelte den Kopf und heftete den Blick auf den hohen, gespaltenen Stein.
»Nein«, sagte er und hoffte inständig, daß er recht hatte. »Nein, ich weiß, was ich falsch gemacht habe. Es passiert mir nicht wieder.«
»Das kannst du nicht wissen, nicht mit Sicherheit.«
»Aye, doch.« Er nahm ihre Hand von seinem Ärmel und hielt sie zwischen den seinen fest; sie war klein und kalt. Er lächelte sie an, obwohl sich sein Gesicht merkwürdig taub anfühlte. »Ich hoffe, Ernie ist noch nicht zu Hause; er wird dich von der Polizei suchen lassen. Am besten gehst du schnell zurück.«
Sie zuckte ungeduldig die Achseln.
»Er ist angeln mit seinem Vetter Neil; er kommt vor Dienstag nicht zurück. Was meinst du, es passiert dir nicht wieder - warum nicht?«
Das war es, was schwieriger zu erklären war als alles andere. Doch er schuldete ihr den Versuch.
»Als ich gesagt habe, daß ich an meinen Vater dachte, da habe ich ihn mir so vorgestellt, wie ich ihn kannte - die Bilder
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