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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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verbrachte, desto größer kamen ihr diese Vorteile vor.
    Sie stützte eine Hand auf den Bettrahmen, während sie mit der anderen den Nachttopf unter Lizzies zerbrechlichen, weißen Pobacken hervorzog. Lizzie war dürr, aber überraschend schwer und kaum halb
bei Bewußtsein; sie stöhnte und zuckte unablässig, und immer wieder verstärkte sich das Zucken plötzlich zu einem ausgewachsenen Schüttelkrampf.
    Jetzt begann das Zittern ein wenig nachzulassen, obwohl Lizzie die Zähne immer noch so fest zusammengebissen hatte, daß ihre scharfen Kieferknochen wie Stützpfeiler unter ihrer Haut vorstanden.
    Malaria, dachte Brianna zum dutzendsten Mal. Das mußte es sein, so, wie es immer wiederkam. Auf Lizzies Hals war eine Anzahl kleiner, roter Pusteln zu sehen, die Hinterlassenschaft der Moskitos, die sie pausenlos geplagt hatten, seit Land in Sichtweite der Phillip Alonzo gekommen war. Sie waren zu weit im Süden gelandet und hatten drei Wochen damit vertan, sich durch die flachen Ufergewässer nach Charleston zu schlängeln, wobei sie ständig von blutsaugenden Insekten gebissen worden waren.
    »Prima. Geht’s dir etwas besser?«
    Lizzie nickte schwach und versuchte zu lächeln, was zur Folge hatte, daß sie aussah wie eine weiße Maus, die einen vergifteten Köder gefressen hatte.
    »Wasser, Schätzchen. Versuch mal ein bißchen, nur einen Schluck.« Brianna hielt Lizzie einladend den Becher an die Lippen. Sie hatte ein starkes Déjà-vu-Gefühl und stellte fest, daß ihre Stimme das Echo ihrer Mutter war, in den Worten genauso wie im Tonfall. Diese Erkenntnis war seltsam tröstend, als stünde ihre Mutter irgendwo hinter ihr und spräche durch sie.
    Doch wenn hier ihre Mutter gesprochen hätte, dann wäre als nächstes das St.-Josephs-Aspirin mit Orangengeschmack gekommen, eine kleine, wohlschmeckende Lutschtablette, gleichermaßen Belohnung wie Medizin, die Schmerzen und Fieber genauso schnell zu vertreiben schien, wie sich die kleine, saure Tablette auf ihrer Zunge auflöste. Brianna warf einen trostlosen Blick auf ihre Satteltaschen, die an einer Ecke ausgebeult waren. Da war kein Aspirin; Jenny hatte ihr ein kleines Bündel mit Kräutervorräten mitgegeben, doch von dem Kamillen- und Pfefferminztee hatte Lizzie sich nur übergeben.
    Chinin, das war es, was man Menschen mit Malaria gab; das war es, was sie brauchte. Doch sie hatte keine Ahnung, ob man es hier überhaupt Chinin nannte oder wie man es verabreichte. Doch Malaria war eine alte Krankheit, und Chinin wurde aus Pflanzen gewonnen - ein Arzt würde doch sicher welches haben, wie es auch immer genannt wurde?
    Nur die Hoffnung auf ärztliche Hilfe hatte sie Lizzies zweiten Anfall durchstehen lassen. Aus Angst, noch einmal auf offener Straße
pausieren zu müssen, hatte sie Lizzie vor sich mit auf das Pferd genommen, den Körper des Mädchens beim Reiten an sich gedrückt und Lizzies Pferd geführt. Lizzie war abwechselnd vor Hitze aufgeflammt oder hatte sich vor Kälte geschüttelt, und sie waren beide schlaff vor Erschöpfung in Wilmington angekommen.
    Doch hier waren sie nun, mitten in Wilmington und doch so weit von wirklicher Hilfe entfernt wie eh und je. Mit angespannten Lippen blickte Brianna zum Nachttisch. Dort lag ein zusammengeballter Lappen mit Blutspritzern.
    Die Wirtin hatte einen Blick auf Lizzie geworfen und nach einem Apotheker geschickt. Trotz allem, was ihre Mutter ihr über den primitiven Stand der hiesigen Medizin und ihrer Vertreter gesagt hatte, hatte Brianna beim Anblick des Mannes einen plötzlichen, intensiven Sog der Erleichterung verspürt.
    Der Apotheker war ein anständig gekleideter, junger Mann mit freundlicher Ausstrahlung und einigermaßen sauberen Händen gewesen. Wie es auch immer um seine medizinischen Kenntnisse stand, wahrscheinlich wußte er mindestens so viel über Fieberkrankheiten wie sie. Und was wichtiger war, sie konnte sich dem Gefühl hingeben, mit der Verantwortung für Lizzie nicht mehr allein zu sein.
    Der Anstand gebot ihr, aus dem Zimmer zu gehen, als der Apotheker das Leinentuch wegzog, um seine Untersuchung durchzuführen, und erst als sie einen leisen Schmerzensschrei hörte, riß sie die Tür auf. Sie fand den jungen Apotheker mit einem Skalpell in der Hand vor, und Lizzie war kreidebleich, während Blut aus einem Schnitt in ihrer Ellenbeuge lief.
    »Aber das ist gut für die Temperamente, Miss!« hatte sich der Apotheker verteidigt. »Versteht Ihr denn nicht? Man muß ihr die Temperamente entziehen!

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