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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Todes zu spüren.
    »Aus Mitleid«, sagte er. »Sie ist arm, es gab niemanden, der ihr helfen konnte.«
    Das starke Tabakaroma erreichte ihn, narkotisch, verzaubernd. Er atmete es ein und stärkte sich daran.
    Bonnet bewegte sich, und er bewegte sich ebenfalls und hielt sich bereit. Doch der Schlag blieb aus; der Schatten vergrub die Hand in einer Tasche und hielt ihm eine Geisterhand entgegen, in der sich das Glitzern des diffusen Laternenlichtes wie in einem Elsternest fing - Münzen und Kleinkram und etwas, das er für das rasche Aufblitzen eines Edelsteins hielt. Dann wählte der Kapitän einen Silberschilling und schob den Rest in seine Tasche zurück.
    »Ah, Mitleid«, sagte er. »Und wie war das, hattet Ihr nicht gesagt, daß Ihr manchmal spielt, MacKenzie?«
    Er hielt ihm den Schilling hin und ließ ihn fallen. Roger fing ihn aus purem Reflex auf.
    »Um das Leben des Säuglings also«, sagte Bonnet und der leicht belustigte Tonfall war wieder da. »Eine Wette unter Ehrenmännern, wollen wir es so nennen? Kopf, und er lebt, Zahl, und er stirbt.«
    Die Münze lag warm und fest in seiner Handfläche, ein Fremdkörper in dieser Welt der Unterkühlung. Seine Hände waren schlüpfrig vor Schweiß, und doch war sein Verstand eiskalt und hellwach geworden, scharf wie die Spitze eines Eispickels.
    Kopf, und er lebt, Zahl, und er stirbt, dachte er ganz ruhig und meinte damit nicht das Kind unter Deck. Er machte Hals und Schritt des anderen Mannes aus; zupacken und losstürzen, ein Schlag und dann hoch mit ihm - die Reling war keinen halben Meter entfernt, und dahinter lag das endlose Reich der Wale.

    Jenseits dieser Überlegungen gab es keinen Platz für irgendwelche Angstgefühle. Er sah die Münze hochwirbeln, als hätte eine andere Hand sie geworfen, dann fiel sie auf das Deck. Seine Muskeln spannten sich langsam an.
    »Sieht so aus, als wäre Danu heute nacht auf Eurer Seite.« Bonnets leise, irische Stimme schien aus großer Entfernung zu kommen, als der Kapitän sich bückte und die Münze aufhob.
    Er begann es gerade erst zu begreifen, als der Kapitän ihn an der Schulter packte und ihn zum Deck herumdrehte.
    »Ihr werdet jetzt ein Weilchen mit mir spazierengehen, MacKenzie.«
    Irgend etwas war mit seinen Knien passiert; er fühlte sich, als sänke er bei jedem Schritt zusammen, hielt sich aber dennoch irgendwie aufrecht, um mit dem Schatten Schritt zu halten. Das Schiff war still, das Deck unter seinen Füßen meilenweit entfernt; doch die See darunter war ein lebendes, atmendes Wesen. Er spürte, wie sich auch in seinen Lungen der Atem im Rhythmus des Decks hob und senkte, und sein Körper kam ihm grenzenlos vor. Seinem Gefühl nach hätte unter seinen Füßen genausogut Wasser wie Holz sein können.
    Es dauerte eine Weile, bevor er Bonnets Worte zu hören begann und mit einem vagen Gefühl des Erstaunens feststellte, daß der Mann dabei zu sein schien, ihm auf stille, teilnahmslose Weise seine Lebensgeschichte zu erzählen.
    Er war in Sligo jung zur Waise geworden und hatte schnell gelernt, für sich selbst zu sorgen, sagte er, indem er als Kajütenjunge auf Handelsschiffen arbeitete. Doch eines Winters, als kaum Schiffe fuhren, hatte er sich in Inverness Arbeit an Land gesucht und am Fundament eines großen Hauses mitgegraben, das in der Nähe der Stadtmitte gebaut wurde.
    »Ich war gerade siebzehn«, sagte er. »Der jüngste in der Mannschaft der Bauarbeiter. Ich kann nicht sagen, warum sie mich gehaßt haben. Vielleicht war es mein Benehmen, denn ich war ziemlich grob - oder Eifersucht auf meine Größe und Kraft; sie waren ein glückloser, kränklicher Haufen. Oder vielleicht, weil die Mädchen mir hold waren. Oder vielleicht war es nur, weil ich ein Fremder war.
    Wie auch immer, jedenfalls wußte ich genau, daß ich unbeliebt war - ich hatte allerdings keine Ahnung, wie unbeliebt, bis zu dem Tag, an dem die Kellergrube fertig wurde und mit dem Fundament begonnen werden konnte.«
    Bonnet hielt inne, um an seiner Zigarre zu ziehen, damit sie nicht ausging. Er blies Rauchwölkchen aus den Mundwinkeln, weiße
Schlieren, die sich an seinem Kopf vorbei auf das allgegenwärtige Weiß des Nebels zuschlängelten.
    »Die Gräben waren fertig«, fuhr er fort, die Zigarre zwischen die Zähne geklemmt, »und die Wände begonnen; ein großer Felsblock stand für den Grundstein bereit. Ich war essen gewesen und war unterwegs zu meinem Schlafplatz, als mich zu meiner Überraschung zwei der Jungs einholten, mit denen

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