Der Ruf Der Trommel
finden, und zwar so schnell wie möglich.
Sie würde die Pferde verkaufen und ein Schiff finden, das sie flußaufwärts brachte. Falls das Fieber zurückkam, konnte sie sich auf einem Schiff genausogut um Lizzie kümmern wie in diesem heißen, übelriechenden, kleinen Zimmer - und sie würden dabei immerhin ihrem Ziel näherkommen.
Sie stand auf, spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht und drehte dabei ihr schweißnasses Haar nach oben und aus dem Nacken. Sie schnürte ihre zerknitterte Kniehose auf, zog sie aus und machte dabei verträumte, zusammenhanglose Pläne.
Ein Schiff auf dem Fluß. Sicherlich würde es auf dem Fluß kühler sein. Sie müßten nicht mehr reiten; nach vier Tagen im Sattel schmerzten ihre Oberschenkelmuskeln. Sie würden nach Cross Creek fahren und Jocasta MacKenzie suchen.
»Meine Tante«, murmelte sie und schwankte leicht, als sie nach der Dochtlampe griff. »Großtante Jocasta.« Sie stellte sich eine freundliche, weißhaarige, alte Dame vor, die sie mit derselben Freude begrüßen würde, die sie in Lallybroch angetroffen hatte. Familie. Es würde so guttun, wieder eine Familie zu haben. Wie so oft driftete Roger in ihre Gedanken. Sie schob ihn resolut wieder fort; Zeit genug, an ihn zu denken, wenn ihre Mission erledigt war.
Eine kleine Insektenwolke schwebte über der Flamme, und die
Wand neben ihr war übersät mit den pfeilförmigen Schatten der Motten und Florfliegen, die sich von ihrem Tagewerk ausruhten. Sie kniff die Flamme aus, die kaum heißer war als die Luft im Zimmer, und zog sich im Dunkeln das Hemd über den Kopf.
Jocasta würde wissen, wo genau sich Jamie Fraser und ihre Mutter befanden - würde ihr helfen, zu ihnen zu gelangen. Zum ersten Mal, seit sie durch die Steine geschritten war, erfüllte der Gedanke an Jamie Fraser sie weder mit Neugier noch mit Beklommenheit. Das einzige, was zählte, war, daß sie ihre Mutter fand. Ihre Mutter würde wissen, was man für Lizzie tun mußte; ihre Mutter würde wissen, wie man alles richtete.
Sie breitete eine zusammengefaltete Bettdecke auf dem Boden aus und legte sich nackt darauf. In Sekundenschnelle war sie eingeschlafen und träumte von den Bergen und von reinem, weißem Schnee.
Am nächsten Abend sah die Lage besser aus. Das Fieber war vorbei, genau wie beim ersten Mal, und Lizzie war ausgelaugt und schwach, aber bei klarem Verstand und so weit abgekühlt, wie es das Klima zuließ. Erfrischt hatte sich Brianna nach der durchschlafenen Nacht die Haare gewaschen, sich mit Hilfe eines Schwammes und der Schüssel gereinigt und dann der Wirtin Geld gegeben, damit sie ein Auge auf Lizzie hatte, während sie selbst sich in Joppe und Kniehose gekleidet ans Werk machte.
Es hatte fast den ganzen Tag gedauert - und sie hatte Unmengen von aufgerissenen Augen und Mündern ertragen müssen, wenn die Männer ihr Geschlecht erkannten -, die Pferde zu einem Preis zu verkaufen, von dem sie hoffte, daß er redlich war. Sie hatte von einem Mann namens Viorst gehört, der in seinem Kanu gegen Bezahlung Passagiere zwischen Wilmington und Cross Creek hin- und herbeförderte. Bei Anbruch der Dunkelheit hatte sie Viorst allerdings noch nicht gefunden - und sie hatte nicht vor, sich abends bei den Docks herumzutreiben, weder in Hosen noch anderswie. Morgen würde früh genug sein.
Noch ermutigender war, daß Lizzie nach unten gekommen war, als sie kurz vor Sonnenuntergang zum Wirtshaus zurückkehrte, und sich von der Wirtin mit kleinen Portionen Maispudding und Hühnerfrikassee hatte verwöhnen lassen.
»Dir geht’s besser!« rief Brianna aus. Lizzie nickte strahlend und schluckte ihren Bissen hinunter.
»Stimmt«, sagte sie. »Ich fühle mich wieder wie ich selber, und Mrs. Smoots ist so freundlich gewesen und hat mich all unsere Sachen
waschen lassen. Oh, es tut so gut, sich wieder sauber zu fühlen!« sagte sie begeistert und legte ihre blasse Hand auf ihr Halstuch, das frisch gebügelt aussah.
»Du solltest aber nicht waschen und bügeln«, rügte Brianna ihre Magd, während sie neben ihr auf die Bank glitt. »Du wirst dich noch überarbeiten und wieder krank werden.«
Lizzie warf ihr einen neunmalklugen Blick zu, und in ihren Mundwinkeln hing ein überlegenes Lächeln.
»Na ja, ich dachte, Ihr wollt Eurem Pa vielleicht nicht in Kleidern gegenübertreten, die ganz dreckig sind. Nicht, daß nicht sogar ein schmutziges Kleid besser wäre als das, was Ihr jetzt anhabt.« Die Augen des kleinen Dienstmädchens glitten tadelnd über
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