Der Ruf Der Trommel
hatte erneut zugeschlagen, als sie zwei Tage auf dem Fluß unterwegs waren. Diesmal war der Anfall länger und schwerer gewesen und Brianna hatte ernstlich befürchtet, daß Lizzie mitten auf dem Cape Fear River sterben würde.
Sie hatte einen ganzen Tag und eine Nacht lang in der Mitte des Kanus gesessen, während Viorst und sein Partner wie die Verrückten gepaddelt waren. Abwechselnd hatte sie Lizzie mit Wasser übergossen oder sie in sämtliche zur Verfügung stehenden Mäntel und Dekken gehüllt und pausenlos darum gebetet, zu sehen, wie sich die schmale Brust des Mädchens mit dem nächsten Atemzug hob.
»Wenn ich sterbe, sagt Ihr es meinem Vater?« hatte Lizzie ihr zugeflüstert, während sie in der Dunkelheit dahinhetzten.
»Das tue ich, aber du tust es nicht, also keine Sorrrge«, sagte Brianna bestimmt. Es funktionierte; Lizzies zerbrechlicher Rücken zitterte vor Lachen über Briannas Versuch, schottisch zu sprechen, und eine kleine, knochige Hand griff nach der ihren und hielt sie fest, bis der Schlaf ihren Griff lockerte und die fleischlosen Finger von ihr abglitten.
Alarmiert über Lizzies Zustand, hatte Viorst sie zu dem Haus gebracht, das er ein Stück vor Cross Creek mit seiner Schwester teilte, und Lizzies in Decken gepackten Körper über einen staubigen Pfad vom Fluß zu einer kleinen Holzhütte getragen. Dank ihrer Sturheit war das Mädchen ein weiteres Mal durchgekommen, doch Brianna glaubte nicht, daß ihr zerbrechlicher Körper noch vielen derartigen Attacken gewachsen sein würde.
Sie zerschnitt ein Klößchen in zwei Hälften, aß es langsam und genoß die wohlschmeckende, warme Soße aus Hühnchen und Zwiebeln. Sie war schmutzig, geschafft von der Reise, ausgehungert und erschöpft, und jeder Knochen im Leibe tat ihr weh. Doch sie hatten es geschafft. Sie waren in Cross Creek, und morgen war Montag. Irgendwo in der Nähe war Jamie Fraser - und, so Gott wollte, auch Claire.
Sie berührte ihr Hosenbein und die Geheimtasche, die sie in den Saum genäht hatte. Sie war immer noch da, die kleine, runde, harte Stelle, wo der Talisman lag. Ihre Mutter lebte noch. Das war alles, was zählte.
Nach dem Essen sah sie ein weiteres Mal nach Lizzie. Hanneke Viorst saß am Bett und stopfte Socken. Sie nickte Brianna zu und lächelte.
»Es geht ihr gut.«
Angesichts des ausgezehrten, schlafenden Gesichtes wäre Brianna nicht ganz so weit gegangen. Doch das Fieber war vorbei; ihre Hand hob sich kühl und feucht wieder von Lizzies Stirn, und eine halbleere Schüssel auf dem Tisch zeigte, daß sie ein bißchen hatte essen können.
»Wollt Ihr Euch auch ausruhen?« Hanneke erhob sich halb und deutete auf das Rollbett, das fertig bezogen war.
Brianna warf einen sehnsüchtigen Blick auf die saubere Bettwäsche und die gutgepolsterte Unterlage, doch sie schüttelte den Kopf.
»Noch nicht, danke. Was ich wirklich gern möchte, ist, euer Maultier leihen, wenn ich darf.«
Unmöglich zu sagen, wo Jamie Fraser jetzt war. Viorst hatte ihr gesagt, daß River Run ein gutes Stück außerhalb der Stadt lag; er konnte dort sein, oder vielleicht hielt er sich auch bequemlichkeitshalber irgendwo in Cross Creek auf. Sie konnte Lizzie nicht so lange allein lassen, wie es gedauert hätte, den ganzen Weg nach River Run zu reiten, doch sie wollte in die Stadt, um das Gerichtsgebäude zu suchen, in dem morgen der Prozeß abgehalten werden würde. Sie wollte nicht das Risiko eingehen, ihn zu verpassen, nur weil sie nicht wußte, wohin sie gehen mußte.
Das Maultier war groß und schon älter, aber einem gemütlichen Ritt entlang der Uferstraße nicht abgeneigt. Es ging etwas langsamer, als sie es selbst zustande gebracht hätte, doch das spielte keine Rolle; sie hatte es jetzt nicht mehr eilig.
Trotz ihrer Müdigkeit fing sie an, sich im Verlauf ihres Rittes besser zu fühlen, und ihr wunder, steifer Körper fügte sich in den sanften Rhythmus des langsam dahinschreitenden Maultieres. Es war ein heißer, feuchter Tag, doch der Himmel war klar und blau. Gewaltige Ulmen und Hickorybäume überwuchsen die Straße, und ihre kühlen Blätter filterten das Sonnenlicht.
Hin- und hergerissen zwischen Lizzies Krankheit und ihren eigenen, schmerzvollen Erinnerungen, hatte sie nichts von der zweiten Hälfte ihrer Reise wahrgenommen, die Veränderungen der Landschaft
nicht bemerkt, durch die sie fuhren. Jetzt war es ihr, als sei sie durch Zauberhand im Schlaf transportiert worden und in einer anderen Gegend aufgewacht. Sie
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