Der Ruf Der Trommel
Sitzen; ich kann sie schnarchen hören. Ulysses, bring sie hoch ins Bett.«
Und dann starke Arme, die sie ohne spürbare Anstrengung hochhoben, doch nicht der Bienenwachsgeruch des schwarzen Butlers; der Sägemehl- und Leinengeruch ihres Vaters. Sie gab die Anstrengung auf und schlief ein, den Kopf an seine Brust gelehnt.
Fergus Fraser mochte sich zwar nach einem schottischen Clansmann anhören, doch er sah aus wie ein französischer Adliger. Ein französischer Adliger auf dem Weg zur Guillotine, korrigierte Brianna im stillen ihren ersten Eindruck.
Dunkel und gutaussehend, leicht gebaut und nicht sehr groß, so schlenderte er zur Anklagebank, wandte sich dem Raum zu und trug seine lange Nase noch ein paar Zentimeter höher als sonst. Die schäbigen Kleider, das unrasierte Kinn und der große, rote Bluterguß über seinem Auge nahmen ihm nichts von seiner Aura aristokratischer Verachtung. Selbst der geschwungene Metallhaken, den er anstelle seiner fehlenden Hand trug, steuerte nur zum Eindruck glamouröser Verruchtheit bei.
Marsali gab einen leisen Seufzer von sich und ihre Lippen spannten sich an. Sie beugte sich über Brianna, um Jamie etwas zuzuflüstern.
»Was haben sie mit ihm gemacht, die Schweine?«
»Nichts, was wichtig wäre.« Er machte eine kleine Handbewegung
und wies sie auf ihren Platz zurück. Sie fügte sich in ihren Sitz und sah abwechselnd den Gerichtsdiener und den Sheriff finster an.
Sie hatten Glück gehabt, Sitzplätze zu bekommen; jeder Winkel des kleinen Gebäudes war besetzt, und im hinteren Teil des Raumes schubsten und murrten die Leute herum. Nur die Anwesenheit der rotberockten Soldaten, die die Tür bewachten, hielt sie in Schach. Zwei weitere Soldaten standen in Habachtstellung im vorderen Teil des Raumes neben der Richterbank, und irgendein Offizier lauerte hinter ihnen in der Ecke.
Brianna sah, wie der Offizier Jamie Frasers Blick begegnete, und sich ein Ausdruck böswilliger Genugtuung über die breitflächigen Gesichtszüge des Mannes zog, fast ein Blick der Schadenfreude. Er ließ ihr die Nackenhaare zu Berge stehen, doch ihr Vater erwiderte den Blick des Mannes geradeheraus und wandte sich dann ungerührt ab.
Der Richter kam und nahm seinen Platz ein, und nach ordentlich vollzogenem Gerichtszeremoniell begann der Prozeß. Offensichtlich war kein Verfahren mit Geschworenen vorgesehen, da keine anwesend waren; nur der Richter und seine Gehilfen.
Brianna hatte am Abend zuvor nur wenig von der Unterhaltung mitbekommen, doch während des Frühstücks war es ihr gelungen, das Durcheinander der Personen zu entwirren. Der Name der jungen Schwarzen war Phaedre, eine von Jocastas Sklavinnen, und der lange, freundliche Junge mit dem bezaubernden Lächeln war Jamies Neffe Ian - ihr Vetter, dachte sie mit genau demselben Gefühl der Aufregung über die neuentdeckte Verwandtschaft, das sie in Lallybroch verspürt hatte. Die hübsche blonde Marsali war mit Fergus verheiratet, und Fergus war natürlich der französische Waisenjunge, den Jamie vor dem Stuartaufstand in Paris inoffiziell adoptiert hatte.
Richter Conant, ein penibler Gentleman mittleren Alters, rückte sich die Perücke zurecht, ordnete seinen Rock und befahl lautstark das Verlesen der Anklage. Diese lautete, daß ein gewisser Fergus Claudel Fraser, Einwohner von Rowan County, am vierten August dieses Jahres des Herrn 1769 sträflicherweise die Person eines gewissen Hugh Berowne tätlich angegriffen hatte, einen Hilfssheriff des nämlichen Bezirkes, und ihm Eigentum der Krone gestohlen hatte, das sich zu diesem Zeitpunkt im rechtmäßigen Gewahrsam des Hilfssheriffs befand.
Als man besagten Hugh in den Zeugenstand rief, erwies er sich als langer Lulatsch von etwas über dreißig Jahren und nervöser Veranlagung. Er zuckte und stammelte sich durch seine Aussage und bestätigte, daß er dem Angeklagten auf der Buffalo Trail Road begegnet
sei, während er, Berowne, sich in Ausübung seiner gesetzlichen Pflichten befand. Er sei von dem Angeklagten heftig in französischer Sprache beschimpft worden, und als er sich angeschickt habe zu gehen, sei er von dem Angeklagten verfolgt worden. Dieser habe sich ihm genähert, ihn ins Gesicht geschlagen und Berowne das in seinem Gewahrsam befindliche Eigentum der Krone abgenommen, nämlich ein Pferd mit Zaumzeug und Sattel.
Auf Bitten des Gerichtes zog der anwesende Zeuge seine rechte Mundhälfte in einer Grimasse zurück und enthüllte einen abgebrochenen Zahn, den er sich bei dem
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