Der Ruf Der Trommel
in einer Höhle.«
Die Waldluft war kühl, doch es war nicht der Schatten, der mir eine Gänsehaut verursachte. Ich rieb mir die Unterarme und versuchte, die Kälte zu vertreiben. Ich hätte gern auch alle Erinnerungen an die Höhle von Abandawe vertrieben - ich hatte es versucht -, doch sie war kein Ort, den man einfach so vergaß.
»Du bist dagewesen?« Sie beugte sich gebannt vor.
»Ja. Es ist schrecklich dort. Aber die Westindischen Inseln sind viel näher als Schottland, und es fahren fast das ganze Jahr über Schiffe von Charleston nach Jamaika.« Ich holte tief Luft und fühlte mich schon etwas besser. »Der Weg durch den Dschungel wäre nicht einfach - aber dir bliebe etwas mehr Zeit - genug, damit wir Roger suchen können.« Wenn er noch zu finden war, dachte ich,
sprach es aber nicht aus. Mit dieser Befürchtung konnten wir uns später befassen.
Eins der Kastanienblätter fiel Brianna kreiselnd in den Schoß, ein lebhafter Gelbton auf dem sanften Braun des handgesponnenen Stoffes. Sie nahm es in die Hand und strich die wachsartige Oberfläche geistesabwesend mit dem Daumen glatt. Sie sah mich mit gebannten, blauen Augen an.
»Funktioniert die Stelle genauso wie die andere?«
»Ich habe keine Ahnung, wie sie funktionieren! Es hat sich anders angehört, ein Glockenklang anstelle des Summens. Doch es war eindeutig eine Passage.«
»Du bist dagewesen«, sagte sie und sah mich unter gesenkten Lidern an. »Warum? Wolltest du zurückgehen? Nachdem du - ihn gefunden hattest?« Es lag immer noch ein leichtes Zögern in ihrer Stimme, sie konnte sich noch nicht ganz dazu durchringen, Jamie als »mein Vater« zu bezeichnen.
»Nein. Es hing mit Geillis Duncan zusammen. Sie hat die Stelle entdeckt.«
Briannas Augenlider flogen hoch.
»Sie ist hier ?«
»Nein. Sie ist tot.«
Ich holte tief Luft und spürte in Gedanken den Aufprall eines Axthiebs, und ein Kribbeln durchlief meinen Arm. Manchmal dachte ich an sie, an Geillis, wenn ich allein im Wald war. Manchmal glaubte ich, ihre Stimme hinter mir zu hören, und drehte mich rasch um, sah aber nur Hemlockzweige, die im Wind rauschten. Doch dann und wann spürte ich ihren Blick auf mir, grün und leuchtend wie der Wald im Frühling.
»Wirklich tot«, sagte ich nachdrücklich und wechselte das Thema. »Wie ist es überhaupt passiert?«
Sie versuchte gar nicht erst, so zu tun, als wüßte sie nicht, wovon ich sprach. Sie sah mich geradeheraus an, eine Augenbraue hochgezogen.
»Du bist die Ärztin. Wieviele Möglichkeiten gibt es denn?«
Ich zahlte ihr den Blick mit Zinsen heim.
»Hast du denn nicht einmal daran gedacht, irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen?«
Sie sah mich wütend an, die dichten Augenbrauen zusammengezogen.
»Ich hatte nicht vor , hier Sex zu haben.«
Ich griff mir an den Kopf und vergrub entnervt die Finger in meiner Kopfhaut.
»Du meinst, so etwas plant man im voraus? Großer Gott, wie oft war ich bei dir in der Schule und habe euch darüber…«
»Dauernd! Jedes Jahr! Meine Mutter, das Sex-Lexikon! Hast du eigentlich eine Ahnung, wie peinlich es ist, wenn deine eigene Mutter vor aller Welt dasteht und Penisse zeichnet?«
Bei dieser Erinnerung nahm ihr Gesicht dieselbe Farbe an wie die scharlachroten Ahornbäume.
»Offensichtlich habe ich es nicht allzugut gemacht«, sagte ich schroff, »da du anscheinend nicht in der Lage warst, einen Penis zu erkennen, als du ihn vor der Nase hattest.«
Ihr Gesicht fuhr zu mir herum, blutunterlaufenen Auges, entspannte sich aber wieder, als sie sah, daß ich einen Witz machte - oder es versuchte.
»Stimmt«, sagte sie. »Na ja, in 3-D sehen sie anders aus.«
Ich lachte überrumpelt. Nach einem Augenblick des Zögerns fiel sie mit einem verhaltenen Kichern ein.
»Du weißt, was ich meine. Ich habe dir doch das Rezept dagelassen, bevor ich gegangen bin.«
Sie sah mich herablassend an.
»Ja, und ich war noch nie in meinem Leben so schockiert! Hast du wirklich geglaubt, ich würde loslaufen und es mit jedem hergelaufenen Kerl treiben, sobald du fort warst?«
»Willst du damit sagen, es war nur meine Anwesenheit, die dich daran gehindert hat?« Der Winkel ihres breiten Mundes zuckte.
»Na ja, nicht nur «, gab sie zu. »Aber es hat schon an dir gelegen, dir und Papa. Ich meine, ich - ich hätte euch nur ungern enttäuscht.« Das Zucken war blitzschnell in Zittern übergegangen, und ich nahm sie fest in den Arm. Ihr glattes, leuchtendes Haar lag an meiner Wange.
»Das kannst du gar
Weitere Kostenlose Bücher