Der Ruf Der Trommel
hinunter.
»Ihr habt mein Pferd und mein Schießeisen«, sagte Roger kühl. »Was wollt Ihr sonst noch? Meinen Hut?« Er hielt ihm den abgetragenen Dreispitz einladend entgegen. Der Räuber konnte unmöglich wissen, was er sonst noch bei sich trug; er hatte sie niemandem gezeigt.
Der junge Mann - er mußte unter zwanzig sein, trotz seiner Größe, dachte Roger - lächelte nicht.
»Ein bißchen mehr als das, schätze ich.« Zum ersten Mal wandte der junge Mann den Blick von Roger ab und ließ ihn zur Seite schweifen. Roger folgte seiner Blickrichtung und spürte einen Stoß wie von einem Elektroschock.
Er hatte den Mann am Rand der Lichtung nicht gesehen, obwohl er die ganze Zeit reglos dagestanden haben mußte. Er trug einen verblichenen
Jagdkilt, dessen Braun- und Grüntöne mit dem Gras und Gebüsch verschmolzen, genau wie sein flammendes Haar mit dem leuchtenden Laub verschmolz. Er sah aus, als sei er aus dem Wald hervorgewachsen.
Neben der Plötzlichkeit seines Auftauchens war es vor allem sein Aussehen, das Roger die Sprache verschlug. Es war eine Sache, wenn einem erzählt worden war, daß Jamie Fraser seiner Tochter ähnelte. Es war eine andere, Briannas kühne Gesichtszüge durch den Stempel der Jahre in Stärke verwandelt zu sehen und einer Persönlichkeit gegenüberzustehen, die nicht nur durch und durch maskulin war, sondern auch noch grimmig aussah.
Es war, als erhöbe man seine Hand vom Pelz einer hübschen, roten Katze und sähe sich statt dessen unvermittelt Auge in Auge mit dem reglosen Blick eines Tigers. Roger konnte es sich nur knapp verkneifen, unwillkürlich einen Schritt zurückzutreten, und er dachte dabei, daß Claire nicht im geringsten übertrieben hatte, als sie Jamie Fraser beschrieb.
»Ihr seid wohl Mr. MacKenzie«, sagte der Mann. Es war keine Frage. Die Stimme war tief, aber nicht laut; sie übertönte das Geräusch der raschelnden Blätter kaum, doch Roger hatte keine Schwierigkeiten, ihn zu hören.
»Der bin ich«, sagte er und trat einen Schritt vor. »Und ihr seid… äh… Jamie Fraser?« Er streckte seine Hand aus, ließ sie aber schnell wieder sinken. Zwei Augenpaare ruhten kalt auf ihm.
»Der bin ich«, sagte der rothaarige Mann. »Ihr kennt mich?« Der Ton der Frage war spürbar unfreundlich.
Roger holte tief Luft und verfluchte sein heruntergekommenes Aussehen. Er wußte nicht, wie ihn Brianna ihrem Vater beschrieben haben mochte, doch Fraser hatte offensichtlich etwas sehr viel Einnehmenderes erwartet.
»Na ja, Ihr - seht Eurer Tochter ziemlich ähnlich.«
Der junge Mann schnaubte laut, doch Fraser würdigte ihn keines Blickes.
»Und was habt Ihr mit meiner Tochter zu tun?« Fraser bewegte sich zum ersten Mal und trat aus dem Schatten der Bäume heraus. Nein, Claire hatte nicht übertrieben. Er war groß, sogar noch ein paar Zentimeter größer als Roger.
Roger fühlte, wie sich ein Stich der Besorgnis unter seine Verwirrung mischte. Was zum Teufel hatte Brianna ihm erzählt? Sie konnte doch sicher nicht so wütend gewesen sein, daß - nun, das würde er in Ordnung bringen, wenn er sie sah.
»Ich bin gekommen, um Anspruch auf meine Frau zu erheben«, sagte er kühn.
In Frasers Augen veränderte sich etwas. Roger wußte nicht, was es war, doch es veranlaßte ihn, seinen Hut fallenzulassen und seine Hände instinktiv ein Stück zu heben.
»Oh, nein, das seid Ihr nicht.« Es war der Junge, der gesprochen hatte, in einem seltsamen Tonfall der Genugtuung.
Roger warf ihm einen Blick zu, und es alarmierte ihn noch mehr, die vorstehenden Fingerknöchel des Jungen weiß am Griff der Pistole zu sehen.
»Hallo, Vorsicht! Ihr wollt doch nicht, daß das Ding zufällig losgeht«, sagte er.
Der junge Mann zog verächtlich die Lippe hoch.
»Wenn es losgeht, dann wird es kein Zufall sein.«
»Ian.« Frasers Stimme blieb gleichmütig, doch die Pistole senkte sich zögernd. Der große Mann trat noch einen Schritt vor. Er blickte Roger gebannt an; seine Augen waren dunkelblau und schräg, und sie sahen Briannas verstörend ähnlich.
»Ich frage das nur einmal, und ich will die Wahrheit hören«, sagte er ganz milde. »Habt Ihr meine Tochter entjungfert?«
Roger spürte, wie sein Gesicht heiß wurde, als eine warme Flut von seiner Brust bis zum Haaransatz hochspülte. Himmel, was hatte sie ihrem Vater erzählt? Und um Himmels willen, warum ? Das letzte, was er vorzufinden erwartet hatte, war ein wutentbrannter Vater, der sich vorgenommen hatte, die Ehre seiner Tochter zu
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