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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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er mit seinen Krallen an seiner Rockschulter riß. Roger hob seinen Hut auf und ergriff die Flucht.
    Hundert Meter weiter verlangsamte er zum Schrittempo und sah sich um. Die Vögel waren nicht zu sehen; also hatte er ihren Nistplatz hinter sich gelassen.
    »Und wo ist Alfred Hitchcock, wenn man ihn braucht?« brummte er vor sich hin und versuchte, das Gefühl der Gefahr abzuschütteln.
    Seine Stimme wurde augenblicklich durch die dichte Vegetation gedämpft; es war, als spräche man in ein Kissen. Er atmete schwer, und sein Gesicht fühlte sich erhitzt an. Auf einmal schien es im Wald ganz still zu sein. Mit dem Ende des Rabengeschreis schienen auch alle anderen Vögel verstummt zu sein. Es war kein Wunder, daß die alten Schotten Raben für Unglücksbringer hielten; wenn er noch sehr lange hierblieb, dann würden all die alten Bräuche, die bislang nicht mehr als Merkwürdigkeiten für ihn gewesen waren, in seinen Gedanken fröhliche Urständ feiern.
    So gefährlich, schmutzig und unbequem es auch war, er mußte sich eingestehen, daß es ihn faszinierte, hier zu sein - Dinge am eigenen Leib zu erfahren, von denen er gelesen hatte, zu sehen, wie Gegenstände, die er aus dem Museum kannte, beiläufig im Alltag benutzt wurden. Wäre Brianna nicht gewesen, würde er das Abenteuer möglicherweise nicht bedauern, trotz Stephen Bonnet und der Dinge, deren Zeuge er an Bord der Gloriana geworden war.
    Seine Hand fuhr erneut an seinen Oberschenkel. Er hatte mehr Glück gehabt, als er zu hoffen gewagt hatte; Bonnet hatte nicht nur einen Edelstein gehabt, sondern zwei. Würden sie wirklich funktionieren? Er duckte sich erneut und mußte mehrere Schritte in gebückter Haltung gehen, bevor die Äste wieder zurückwichen. Kaum zu glauben, daß Menschen hier oben wohnten, doch irgend jemand hatte diesen Pfad angelegt, und er mußte irgendwo hinführen.
    »Ihr könnt es nicht verfehlen«, hatte das Mädchen in der Mühle ihm versichert, und er konnte sehen, warum. Man konnte nirgendwo anders hin.
    Er beschattete seine Augen und blickte den Weg hinauf, doch die herabhängenden Äste der Kiefern und Ahornbäume verbargen alles und bildeten nur einen schattigen, mysteriösen Tunnel, der durch die Bäume führte. Unmöglich zu sagen, wie weit es bis zur Spitze des Bergkammes war.
    »Das schafft Ihr leicht bis Sonnenuntergang«, hatte das Mädchen gesagt, und jetzt war es weit nach Mittag. Doch da hatte er noch ein Pferd gehabt. Da er nicht im Dunkeln auf dem Berg festsitzen wollte, legte er an Tempo zu und suchte vor sich nach dem Sonnenlicht, das ihm den offenen Bergkamm am Ende des Pfades anzeigen würde.
    Beim Gehen wanderten ihm seine Gedanken unaufhaltsam voraus, von Spekulationen beflügelt.
    Wie war es verlaufen, Briannas Zusammentreffen mit ihren Eltern? Welchen Eindruck hatte Jamie Fraser auf sie gemacht? War er der Mann, den sie sich während des vergangenen Jahres vorgestellt hatte,
oder nur ein blasses Spiegelbild der Vorstellung, die sie sich anhand der Geschichten ihrer Mutter gemacht hatte?
    Immerhin hatte sie einen Vater, den sie kennenlernen konnte, dachte er mit einem merkwürdigen kleinen Stich bei dem Gedanken an die Mittsommernacht und den Lichtblitz in der Passage durch die Steine.
    Da war es! Der dichte, grüne Schatten vor ihm lichtete sich; hellte sich auf, als züngelndes Sonnenlicht das Herbstlaub orange und gelb aufflammen ließ.
    Die Sonne blendete ihn einen Augenblick lang, als er aus dem grünen Tunnel trat. Er blinzelte einmal und sah, daß er sich nicht auf dem Kamm befand, wie er erwartet hatte, sondern auf einer kleinen, natürlichen Lichtung, die mit scharlachroten Ahornbäumen und gelben Krüppeleichen umstanden war. Sie war mit Sonnenlicht gefüllt wie eine Schale, und dahinter dehnte sich der dunkle Wald in alle Richtungen aus.
    Als er sich umdrehte, um herauszufinden, wo sich der Weg fortsetzte, hörte er ein Pferd wiehern und wirbelte herum - um sein eigenes, betagtes Reittier zu erblicken, das mit dem Kopf schlug, um gegen den Zug des Zügels anzukämpfen, der am Rand der Lichtung an einen Baum gebunden war.
    »Also, ich faß’ es nicht!« rief er erstaunt aus. »Wie zum Teufel bist du denn hier heraufgekommen?«
    »Genauso wie Ihr«, antwortete ihm eine Stimme. Ein hochgewachsener, junger Mann trat neben dem Pferd aus dem Wald, blieb stehen und zielte mit einer Pistole auf Roger; seiner eigenen, wie er ebenso entrüstet wie besorgt feststellte. Er holte tief Luft und würgte seine Angst

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