Der Ruf Der Trommel
Mediziner jener Zeit sie aktiv in Gefahr brachten.
Nein, wie auch immer sie sich entschied, hier bei mir war sie besser dran. Ich umarmte mich selbst unter dem Umhang und ballte meine Finger zusammen, um sie wieder warm und geschmeidig zu kneten, um mich durch die Berührung wieder sicherer zu fühlen.
Bitte , hatte er gesagt. Bitte was? Bitte frag sie nicht, bitte tu’s nicht, wenn sie fragt? Doch ich mußte es. Ich schwöre bei Apollo, dem Arzt… nie den Blasenstein zu operieren… niemals einer Frau ein Abtreibungsmittel zu geben… Tja, und Hippokrates war weder ein Chirurg, noch eine Frau… noch eine Mutter gewesen. Wie ich Jamie schon gesagt hatte, hatte ich einen Eid auf etwas geleistet, das viel älter war als Apollo, der Arzt - und dieser Eid war in Blut geschrieben.
Ich hatte noch nie eine Abtreibung vorgenommen, obwohl ich als Assistenzärztin einige Erfahrung in der Nachsorge von Fehlgeburten gesammelt hatte. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn mich Patientinnen darum gebeten hatten, hatte ich sie an Kollegen verwiesen. Ich hatte keine grundsätzlichen Einwände dagegen; ich hatte zu oft gesehen, wie Frauen durch die unpassende Ankunft von Kindern körperlich oder seelisch umgebracht wurden. Wenn es Tötung war - und das war es -, dann war es für mich kein Mord, sondern rechtmäßige Tötung, die aus verzweifeltem Selbstschutz begangen wurde.
Gleichzeitig konnte ich mich aber nicht dazu durchringen, es zu tun. Das Gespür des Chirurgen, das mir das Wissen über das Gewebe unter meinen Händen verlieh, brachte mir auch den lebenden Inhalt der Gebärmutter deutlich zu Bewußtsein. Ich konnte den Bauch einer Schwangeren berühren und in meinen Fingerspitzen das zweite Herz schlagen spüren; konnte blind die Rundungen der Glieder und des Köpfchens nachfahren, die schlangengleiche Nabelschnur mit ihrem Blutstrom in rot und blau.
Ich konnte mich nicht dazu durchringen, es zu zerstören. Nicht bis jetzt, wo es mein eigenes Fleisch und Blut war.
Wie? Es würde ein chirurgischer Eingriff sein müssen. Dr. Rawlings hatte solche Prozeduren offenbar nicht durchgeführt; er hatte keinen Uterus»löffel« zum Ausschaben der Gebärmutter und auch keine der dünnen Rundeisen für die Zervixerweiterung. Doch ich würde schon klarkommen. Eine meiner Elfenbeinstricknadeln, die Spitze abgestumpft; das Skalpell, zu einer leichten Rundung umgebogen, seine tödliche Schneide abgeschliffen für die präzise - aber nicht weniger tödliche - Arbeit der Ausschabung.
Wann? Sofort. Sie war schon fast im vierten Monat; wenn es geschehen sollte, dann mußte es so bald wie möglich sein. Außerdem konnte ich es nicht ertragen, mit Jamie im selben Zimmer zu sein, solange die Angelegenheit nicht geklärt war, und seine Ängste noch zusätzlich zu meinen eigenen zu spüren.
Brianna hatte Lizzie zu Fergus’ Haus gebracht. Lizzie sollte dort bleiben und Marsali helfen, die alle Hände voll zu tun hatte mit der Destillerie, dem kleinen Germain und der Arbeit auf dem Hof, die Fergus nun einmal nicht mit links erledigen konnte. Es war eine immense Belastung für ein achtzehnjähriges Mädchen, doch sie bewältigte sie mit Hartnäckigkeit und Stil. Lizzie konnte ihr zumindest bei der Hausarbeit helfen und ab und zu so lange auf das kleine Biest aufpassen, daß Marsali sich ausruhen konnte.
Brianna würde vor dem Essen zurückkommen. Ian war unterwegs, auf der Jagd mit Rollo. Jamie… ohne, daß er etwas gesagt hatte, wußte ich, daß Jamie nicht vor Ablauf einiger Zeit wiederkommen würde. Wir würden etwas Zeit allein zusammen haben.
Doch würde es der passende Moment für eine solche Frage sein - wenn sie gerade von Germains Engelsgesicht zurückkam? Andererseits, wenn ich es mir überlegte, war der Kontakt mit einem Zweijährigen vielleicht die beste praktische Lektion über die Gefahren der Mutterschaft, dachte ich voller Ironie.
Von meinem schwachen Anflug von Humor vage erleichtert, wandte ich mich um und zog den Umhang zum Schutz vor dem Wind fest um mich. Als ich den Hügel hinunterkam, sah ich Briannas Pferd im Pferch; sie war zu Hause. Während sich mein Magen vor Angst zusammenballte, schickte ich mich an, sie vor die Wahl zu stellen.
»Ich hatte darüber nachgedacht«, sagte sie und holte tief Luft. »Als ich es gemerkt habe. Ich habe mich gefragt, ob du - so etwas hier tun kannst.«
»Es würde nicht einfach sein. Es würde gefährlich sein - und es wäre schmerzhaft. Ich habe nicht einmal Laudanum; nur
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