Der Ruf Der Trommel
ihre Augen hatten vor Wut und vom Holzrauch gebrannt.
Er war in der Dämmerung gekommen und hatte ihre Mutter zu sich gerufen, ohne Brianna anzusehen. In der Tür ein paar Sätze gemurmelt und ihre Mutter zurückgeschickt, um ihre Sachen zu pakken, das Gesicht hohläugig vor Sorge.
Er hatte sie hierher gebracht, vom Berg herunter nach River Run. Sie hatte mit ihnen gehen wollen, hatte sofort aufbrechen und Roger suchen wollen, ohne einen Augenblick zu verlieren. Doch er war hart geblieben und ihre Mutter ebenfalls.
Es war Ende Dezember, und der Berg war tief eingeschneit. Der vierte Monat war fast vorbei; die angespannte Kurve ihres Bauches war jetzt fest und rund. Niemand konnte sagen, wie lange die Reise dauern würde, und sie sah sich widerstrebend zu dem Eingeständnis gezwungen, daß sie nicht auf einem nackten Berghang entbinden wollte. Sie hätte ihre Mutter vielleicht umstimmen können, aber nicht, wenn seine Hartnäckigkeit ihr den Rücken stärkte.
Sie lehnte sich mit der Stirn an den kühlen Marmor des Mausoleums; es war ein kalter, verregneter Tag, doch ihr Gesicht fühlte sich heiß und geschwollen an, als bekäme sie Fieber.
Sie konnte nicht aufhören, ihn zu hören, ihn zu sehen. Sein Gesicht, wutverzerrt, scharfkantig wie eine Teufelsmaske. Seine Stimme, heiser vor Wut und Verachtung, als er sie tadelte - sie tadelte -, weil er seine verdammte Ehre verloren hatte.
» Deine Ehre?« hatte sie ungläubig gesagt. »Deine Ehre ? Deine verwichste Vorstellung von Ehre ist es doch, die uns diesen ganzen Ärger eingebrockt hat!«
»So redest du nicht mit mir! Obwohl, wenn wir von Wichsen reden…«
»Ich sage, verdammt noch mal, alles, was ich will!« brüllte sie und knallte die Faust auf den Tisch, daß die Teller klapperten.
Und das hatte sie getan. Und er ebenfalls. Ihre Mutter hatte ein-oder zweimal versucht, sie zu bremsen - bei der Erinnerung an den verstörten Blick in Claires tiefgoldenen Augen zuckte Brianna jetzt noch zusammen -, doch keiner von ihnen hatte es auch nur einen Moment beachtet, denn sie waren zu sehr auf das Gemetzel ihres gegenseitigen Verrats konzentriert.
Ihre Mutter hatte ihr einmal gesagt, sie hätte ein schottisches Temperament - schwer entzündlich, aber von langer Brenndauer. Jetzt wußte sie, wo es herkam, doch dieses Wissen half ihr nicht.
Sie lehnte ihre verschränkten Arme gegen das Grabmal, stützte ihr Gesicht darauf und roch den schwachen Schafsgeruch der Wolle. Es erinnerte sie an die handgestrickten Pullover, die ihr Vater - ihr richtiger Vater, dachte sie in einem erneuten Anfall von Trostlosigkeit - gern getragen hatte.
»Warum mußtest du nur sterben?« flüsterte sie in die Höhle aus feuchter Wolle. »Oh, warum?« Wenn Frank Randall nicht gestorben wäre, dann wäre all das nicht passiert. Er und Claire wären immer noch da, in ihrem Haus in Boston, und ihre Familie und ihr Leben wären intakt.
Doch ihr Vater war fort, und ein brutaler Fremder war an seine Stelle getreten; ein Mann, der ihr Gesicht hatte, doch ihr Herz nicht verstehen konnte, ein Mann, der ihr ihre Familie und ihr Heim genommen hatte, und ihr, als wäre das nicht genug, auch ihre Liebe und ihre Sicherheit geraubt und sie in diesem fremden, rauhen Land allein gelassen hatte.
Sie zog das Schultertuch fester und erschauerte, als der Wind durch das locker gewebte Tuch schnitt. Sie hätte einen Umhang mitbringen sollen. Sie hatte ihrer Mutter einen Abschiedskuß auf die weißen Lippen gedrückt und sich dann davongemacht, im Laufschritt durch den abgestorbenen Garten, ohne ihn anzusehen. Sie würde hier warten, bis sie sicher war, daß sie fort waren, egal, ob sie fror.
Sie hörte Schritte hinter sich auf dem gepflasterten Weg und erstarrte, obwohl sie sich nicht umdrehte. Vielleicht war es ein Dienstbote oder Jocasta, die gekommen war, um sie zum Hineingehen zu überreden.
Doch die Schritte waren so lang und kraftvoll, daß sie nur von einem Mann stammen konnten. Sie blinzelte krampfhaft und biß die Zähne zusammen. Sie würde sich nicht umdrehen, nein, das würde sie nicht.
»Brianna«, sagte er ruhig hinter ihr. Sie antwortete nicht, bewegte sich nicht.
Er machte ein leises, schnaubendes Geräusch - Verärgerung, Ungeduld?
»Ich muß dir etwas sagen.«
»Sag’s«, sagte sie, und die Worte schmerzten in ihrer Kehle, als hätte sie einen scharfkantigen Gegenstand verschluckt.
Es begann wieder zu regnen; neue Spritzer ließen den Marmor vor ihr erglänzen, und sie konnte das
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