Der Ruf Der Trommel
entschlossen, doch sein Blick war wachsam.
»Ich glaube, ihm geht es gut«, sagte er leise. »Tante Claire, was ist mit dir? Du bist doch nicht verletzt, oder?«
»Nein«, sagte ich und versuchte, beruhigend zu lächeln. »Mir fehlt nichts.« An meinem Hinterkopf befand sich eine schmerzende Stelle, und mir klangen die Ohren immer noch ein bißchen, der gelbe Ring aus Licht, der die Laterne umgab, schien zu oszillieren und sich im Rhythmus meines Herzschlages auszudehnen und zusammenzuziehen, ich hatte einen Kratzer auf der Wange, einen angeschlagenen Ellbogen und einen großen Splitter in der Hand, doch im großen und ganzen schien ich keinen körperlichen Schaden genommen zu haben. Was den Rest anging, hatte ich meine Zweifel.
Ich drehte mich nicht zu Jamie um, der zwei Meter hinter mir stand, doch ich spürte seine Gegenwart, unheilvoll wie eine Gewitterwolke. Ian, der ihn über meine Schulter hinweg deutlich sehen konnte, machte ein besorgtes Gesicht.
Das Deck ächzte leise, und Ians Gesichtsausdruck entspannte sich. Jamies Stimme drang aus der Kabine, äußerlich ruhig, als er Fergus eine Frage stellte. Dann wurde sie von dem allgemeinen Gerumpel übertönt, als die Männer Möbelstücke zurechtrückten und verstreute Gegenstände einsammelten. Ich atmete langsam aus.
»Keine Sorge, Tante Claire«, sagte Ian und versuchte, mich zu trösten. »Ich glaube nicht, daß Onkel Jamie Hand an dich legen würde.«
Ich war mir da nicht so sicher, wenn ich die Vibrationen aus Jamies Richtung bedachte, doch ich hoffte, daß er recht hatte.
»Meinst du, daß er sehr wütend ist?« fragte ich mit leiser Stimme.
Ian zuckte beklommen mit den Achseln.
»Tja, letztesmal, als er mich so angesehen hat, hat er mich hinters Haus gebracht und mich verprügelt. Das würde er mit dir aber nicht tun, da bin ich mir sicher«, fügte er hastig hinzu.
»Wohl nicht«, sagte ich etwas trostlos. Ich war mir nicht sicher, ob ich es nicht vielleicht sogar vorgezogen hätte.
»Es ist allerdings auch nicht besonders angenehm, wenn Onkel Jamie einem die Meinung sagt«, sagte Ian und schüttelte mitfühlend den Kopf. »Da wäre mir eine Tracht Prügel lieber.«
Ich brachte Ian mit einem Blick zum Schweigen und beugte mich über den Hund.
»Ein jeglicher Tag hat seine eigene Plage. Hat er aufgehört zu bluten?«
Das hatte er; abgesehen von dem blutverklebten Fell hielt sich der Schaden überraschend in Grenzen; kaum mehr als eine tiefe Kerbe in der Haut und den Muskeln neben der Schulter. Rollo legte die Ohren an und entblößte die Zähne, als ich ihn untersuchte, legte aber keinen hörbaren Protest ein.
»Braver Hund«, murmelte ich. Hätte ich ein Betäubungsmittel gehabt, hätte ich die Wunde genäht, doch wir mußten ohne solche Annehmlichkeiten auskommen. »Wir sollten hier etwas Salbe auftragen, um die Fliegen fernzuhalten.«
»Ich hole sie, Tante Claire, ich weiß, wo deine Kiste ist.« Ian schob Rollos Nase sanft von seinem Knie und stand auf. »Ist es das grüne Zeug, das du auf Fergus’ Zeh geschmiert hast?« Auf mein Nicken verschwand er in der Kabine, und ich konnte mich meinem rumorenden Magen, meinem brummenden Kopf und meiner blockierten Kehle widmen. Ich schluckte mehrmals, doch ohne nennenswerten Erfolg. Ich berührte zögernd meinen Hals, während ich mich fragte, welcher meiner Ringe mir geblieben war.
Eutroclus bog um die Kabinenecke. Er trug einen langen, dicken Staken aus hellem Holz, der an einem Ende dunkel gefleckt war und so von häufigem Gebrauch zeugte. Er stieß den Staken jenseits der Bordwand in den Boden, stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen und wuchtete ihn mit einer ausgedehnten Kraftanstrengung wieder hoch.
Ich fuhr zusammen, als Jamie mit einem weiteren Staken aus dem Schatten trat. Inmitten all der Geräusche und Rufe hatte ich ihn nicht
gehört. Er sah mich nicht an, sondern zog sich das Hemd aus und stieß auf ein Zeichen des Matrosen ebenfalls mit seinem Staken zu.
Beim vierten Versuch spürte ich, wie die Bordwand vibrierte, ein leichtes Zittern, als sich etwas verlagerte. Dadurch ermutigt, drückten Jamie und der Matrose fester zu, und ganz plötzlich kam das Schiff mit einem dumpfen Knarren frei, worauf Rollo mit einem aufgeschreckten Wuff! den Kopf hob.
Eutroclus, der unter seiner glänzenden Schweißschicht strahlte, nickte Jamie zu und nahm seinen Staken entgegen. Jamie nickte lächelnd zurück, hob sein Hemd auf und wandte sich mir zu.
Ich erstarrte, und Rollos Ohren
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