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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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gewartet, den Augenblick, da Hagen wieder zu Bewusstsein kam und seine Umgebung erkannte.
    Der Waffenmeister kämpfte gegen die bleierne Müdigkeit an, die Körper und Geist umfangen hielt. Didrik teilte ihm mit leiser Stimme mit, dass kein Niflunge mehr am Leben war. »So ist es zu Ende gebracht«, sagte Hagen. Er hatte nichts anderes erwartet.
    Dann kam Grimhild und sah ihm lange ins Gesicht. »Endlich gehörst du meiner Rache!«, sagte sie, und Jubel erfüllte ihre Seele. Sigfrid war da und blickte mit Stolz auf sie. Sie lächelte ihn an, lächelte, lächelte. Ich habe es dir versprochen , dachte sie.
    Hagen rang die Teilnahmslosigkeit, die ihn erfüllte, zu Boden, um seiner Widersacherin aufrecht begegnen zu können. Er bewunderte Grimhild. Die Rache machte sie groß und brachte das Beste und Schrecklichste in ihr zum Vorschein, ihre Stärke, ihre Kraft, ihre Leidenschaft. Er fühlte sich ihr nahe, wie nie zuvor. Wie reif sie geworden war, wie selbstbewusst! Linien des Schmerzes hatten sich in ihr Gesicht gegraben. Durch wie viel Qual hatte sie gehen müssen! Für einen Augenblick fiel die Last der letzten Jahre von ihm ab, und er wunderte sich darüber, was sie alle auf diesen Endpunkt zugetrieben hatte. Wie wertvoll schien ihm in diesem Moment jegliches Leben! Wie leicht, das Urteil der Nornen zu verändern und eine andere Richtung einzuschlagen! Aber der Augenblick ging vorüber, und die Erkenntnis, dass es zu spät war, begrub das vorübergehende Gefühl der Hoffnung.
    Didrik ergriff Grimhilds Hand. »Sind nicht schon genug Männer gestorben? Hast du noch nicht genug Blut gesehen?«
    »Ich habe nicht die Wunde vergessen, die sich zwischen Sigfrids Schultern befand, und keine Scharte war in seinem Schild, weil er hinterrücks gemeuchelt wurde.«
    »Hagen soll dir den Niflungenhort herausgeben, der rechtmäßig dir gehört, und damit lass es gut sein!«
    Grimhild hatte eine scharfe Erwiderung auf den Lippen, aber dann nickte sie plötzlich zur allgemeinen Überraschung. »Also gut«, sagte sie und wandte sich ihrem Feind zu. »Du hast Didrik gehört. Gib mir Sigfrids Hort zurück, und du sollst frei sein!«
    Die anderen mochten sich täuschen lassen, aber nicht Hagen. Grimhild interessierte sich nicht im Geringsten für den Schatz. Sie wollte seinen Tod. Sein Tod war das Einzige, was ihr Frieden geben konnte. Und nur, weil sie wusste, dass er ihr niemals nachgeben würde, ließ sie ihm die Wahl. Hagen lächelte. Wie gut sie einander kannten! Wie sehr sie ihm vertraute! Verband sie nicht ein tieferes, umfassenderes Verständnis, als es je zwischen ihr und Sigfrid gegeben hatte? Verächtlich warf er einen Blick auf Didrik. Was für ein lächerlicher Vorschlag! Sollte er Grimhild etwa achselzuckend den Hort übergeben: Hier ist der Schatz, den ich dir raubte, und Schwamm über das Gemetzel da draußen? Sie wusste ebenso gut wie er, dass es kein Zurück gab. Sie begriff. Sie stand weit über diesen Männern in ihrer folgerichtigen Unbeugsamkeit.
    Die Runen in seinen Handflächen loderten. Er könnte ihr nachgeben, ihre Pläne durchkreuzen. Er könnte es, mit einem einzigen Wort. Aber es wäre nicht richtig. Sie verdiente etwas Besseres. Sie verdiente zu bekommen, was sie wollte. »Das kann ich nicht, frouwa «, entgegnete er und konnte die Andeutung ihres Lächelns sehen.
    »Mit welchem Recht verweigerst du mir den Hort?«
    Er dachte darüber nach. Es gab nur eine Antwort auf diese Frage, und wenn er sie aussprach, zwang er Skuld, das Gewebe seines Lebens neu zu knüpfen. Aber in seinem Herzen hatte er sich bereits entschieden. Noch einmal richtete er sich zu voller Größe auf, obwohl Feuerstöße durch seinen Körper jagten, und antwortete: »Mit dem Recht eines Schwarzalben. Meiner Sippe gehört der Hort, und kein Mensch soll ihn je wieder berühren.« Sein Bruder wäre stolz gewesen. Es war eine geringe Gegengabe für das, was er Andvari schuldete, aber das Bekenntnis erfüllte ihn dennoch mit dem Gefühl, nicht länger allein zu sein. Ich habe einen Bruder, also habe ich eine Sippe. Er war frei. Niemand konnte ihn je wieder in das Gefängnis seiner Herkunft sperren, und kein Preis war dafür zu hoch.
    Langsam zog Grimhild das Schwert unter ihrem Umhang hervor. Sie hatte es auf dem Weg hierher aufgelesen und sich geweigert, den Toten daneben zu erkennen. Sigfrids strahlende Gestalt hatte den Jungen, der sie einst »Schmiedeauge« nannte, vor ihren Blicken verborgen.
    Hagen sah, was sie vorhatte, und lächelte.

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