Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
einfach eine Frage der Beherrschung.
»Wenn Sie mich zu hintergehen versuchen, werden Sie es bereuen.« Sein Tonfall klang jetzt sanft, und der schwache Hauch eines Lächelns umspielte seine Lippen. »Das verspreche ich Ihnen.«
»Zur Hölle, Silas, wie ich diese Situation genieße!« Leise lachend, betrat James die Kabine. »Lest ihr Jungs dort unten Schundhefte, oder was? Lasst uns loslegen.«
Mit ein paar schnellen Bewegungen prüfte VanDyke oben die Sauerstoffflaschen. Das Ganze war schließlich nur ein Geschäft. Als die Lassiters an Deck kamen, legte er gerade seine eigene Ausrüstung an.
Die drei waren ihm abgrundtief unterlegen, dachte VanDyke bei sich. Offensichtlich hatten sie vergessen, wer und was er war. Er war ein VanDyke, und er hatte immer bekommen, verdient oder sich genommen, wonach ihm gerade der Sinn stand. Und er hatte vor, so lange auf diese Art zu verfahren, wie er davon profitierte. Glaubten die drei allen Ernstes, dass es ihm etwas ausmachte, wenn sie sich gegen ihn zusammentaten und ihn ausgrenzten? Es war wirklich höchste Zeit, sie loszuwerden und sich ein neues Team zu kaufen.
Buck, sinnierte er, dieser rundliche Kerl, dessen Haar sich bereits lichtete, wirkte wie ein schwacher Abklatsch seines attraktiven Bruders. Treu wie ein Welpe – und genauso intelligent.
Matthew war noch ein Junge, eifrig, dreist und trotzig. Ein verhasster kleiner Wurm, den VanDyke mit Vergnügen zertreten würde.
Und dann war da natürlich James, hart und wesentlich gerissener, als VanDyke es ihm zugetraut hätte. Nicht nur jemand, den er ausnutzen konnte. Der Mann bildete sich offenbar allen Ernstes ein, er könnte Silas VanDyke überlisten.
James Lassiter glaubte doch tatsächlich, er könnte den Fluch der Angelique finden und behalten, jenes legendäre Amulett, dem so viel Macht nachgesagt wurde. Von einer Hexe getragen und von vielen heiß begehrt. Und dieser Wunsch hatte ihn leichtsinnig gemacht. Doch VanDyke hatte Zeit, Geld und Mühe investiert, und er pflegte keine unprofitablen Investitionen zu tätigen.
»Heute lohnt sich die Jagd.« James schnallte seine Sauerstoffflaschen fest. »Ich rieche es förmlich. Silas?«
»Ich bin bereit.«
James sicherte seinen Bleigürtel, setzte die Tauchermaske auf und rollte sich ins Wasser ab.
»Dad, warte –«
Aber James hob nur zum Abschied den Arm und verschwand unter der Wasseroberfläche. Die Welt unter ihm war still und großartig. Das Blau des Meeres wurde von Sonnenstrahlen durchbrochen, die klar und weiß schimmernd durch die Oberfläche drangen. Höhlen und Festungen aus Korallen wurden sichtbar, die eigene geheime Welten bildeten.
Ein Riffhai mit gelangweilt dreinschauenden, schwarzen Augen bog ab und glitt durch das Wasser davon.
Hier fühlte sich James weit mehr zu Hause als an der Luft, und er tauchte, gefolgt von VanDyke, immer tiefer. Das Wrack war bereits weitgehend freigelegt, von Gräben umgeben und seiner Schätze beraubt. Korallen überzogen den zerborstenen Bug und verwandelten das Holz in ein Phantasiegebilde aus Farben und Formen, die mit Amethysten, Smaragden und Rubinen besetzt schienen.
Vor ihm lag ein lebendiger Schatz, ein Kunstwerk, entstanden aus Meerwasser und Sonne.
Es war immer wieder ein Vergnügen, es zu betrachten.
Als sie mit der Arbeit begannen, fühlte sich James immer wohler. Das Schicksal der Lassiters hatte sich gewendet, dachte er verträumt. Schon bald würde er reich und berühmt sein. Er lächelte in sich hinein. Nach langen Bemühungen war er endlich über den entscheidenden Hinweis gestolpert, nachdem er Tage und Stunden damit zugebracht hatte, die Spur des Amuletts zu verfolgen und Stück für Stück aneinander zu fügen.
Dieses Arschloch VanDyke tat ihm fast ein wenig leid, denn am Ende würden die Lassiters das Amulett finden, in anderen Gewässern, auf ihrer eigenen Expedition.
James ertappte sich plötzlich dabei, wie er nach einer Koralle griff, um sie wie eine Katze zu streicheln. Er schüttelte ein paarmal den Kopf hin und her, wurde aber das benommene Gefühl nicht los. Eine Alarmglocke schrillte in einem Teil seines Gehirns, weit entfernt und sehr schwach. Als erfahrener Taucher kannte er die Anzeichen. Ein- oder zweimal hatte er bereits die ersten Symptome eines Stickstoffkollapses erlebt, allerdings noch nie in einer derart geringen Tiefe. Sie hatten noch keine dreißig Meter erreicht.
Dennoch klopfte er an seine Sauerstoffflaschen. VanDyke beobachtete ihn, er wirkte hinter seiner
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