Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
gelegentlichen Verschnaufpausen vom Familienpech durchs Leben geschlagen. Matthew hatte keinerlei Bindungen – außer zu Buck – und besaß nicht mehr als das, was er sich auf den Rücken schnallen konnte.
Er war ein Streuner, nicht mehr und nicht weniger. Die Aussicht auf den großen Coup fünfunddreißig Meter unter dem Meeresspiegel würde das Herumstreunen zwar um einiges angenehmer gestalten, grundsätzlich jedoch würde sich nicht viel ändern.
Buck hatte Recht. Matthew Lassiter verfügte über keinen festen Wohnsitz, nannte weniger als vierhundert Dollar in einer Zigarrenkiste sein Eigen und hätte sich niemals dazu hinreißen lassen dürfen, von einer Zukunft mit Tate Beaumont zu träumen.
Tate sah das natürlich ganz anders. Im Laufe der folgenden Tage fand sie es frustrierend, dass sie mit Matthew nur unter Wasser allein sein konnte, wo Verständigung und Körperkontakt unter ziemlich erschwerten Bedingungen stattfanden.
Das würde sie ändern, gelobte sie sich, während sie den Hügel aus Sand und festem Material untersuchte, der sich hinter dem Sauggerät auftürmte. Und zwar umgehend. Immerhin war heute ihr zwanzigster Geburtstag.
Vorsichtig hob sie Nägel, Bolzen und Muscheln auf und suchte nach anderen, vielversprechenderen Objekten. Schiffsbeschläge, ein Sextant, eine kleine Messingkiste mit Scharnieren,
eine Silbermünze mit einem Stück Koralle. Ein hölzernes Kruzifix, ein Oktant und eine wunderschöne Porzellantasse, die in zwei Hälften gebrochen war.
Sie sammelte alles auf und ignorierte die kleinen Steinchen, die, aus dem Sauger fliegend, gegen ihren Rücken schlugen.
Ein golden glänzender Gegenstand flog an ihr vorbei. Als sie die Schlammwolke nach dem verräterischen Schimmern untersuchte, setzte ihr Herz für einen Schlag aus. Sie machte ein schwaches Leuchten aus, schoss nach vorn, tauchte in den wirbelnden Sand ein und schreckte dabei einen Rochen auf.
Begriffe wie Schatz, Dublonen, wertvolle antike Juwelen schossen ihr durch den Kopf, aber als ihre Hand sich tatsächlich um den goldenen Gegenstand schloss, stiegen ihr Tränen in die Augen.
Es war weder eine Münze noch ein antikes Schmuckstück, das jahrhundertelang im Sand begraben gelegen hatte. Kein kostbarer Schatz, und trotzdem für Tate unglaublich wertvoll. Sie hielt das goldene Medaillon mit der einzelnen Perle hoch.
Als Tate sich umsah, bemerkte sie, dass Matthew den Sauger abgestellt hatte und sie beobachtete. Mit einem Finger schrieb er Buchstaben ins Wasser. Happy Birthday. Lachend schwamm sie auf ihn zu. Von den Sauerstoffflaschen und Schläuchen behindert, nahm sie seine Hand und drückte sie an ihre Wange.
Er ließ sie dort einen Augenblick lang, dann befreite er sich aus ihrem Griff. Sein Signal sagte ihr ganz deutlich: »Hör auf zu faulenzen.«
Erneut trat der Sauger in Aktion. Doch Tate beachtete den sprudelnden Sandstrahl nicht, sondern sicherte vorsichtig das Kettchen, das sie um ihr Handgelenk geschlungen hatte. Dann machte sie sich wieder an die Arbeit und spürte dabei, wie die Liebe zu ihm ihr Herz füllte.
Matthew konzentrierte sich auf die vom Ufer entfernte Seite des Hügels. Geduldig siebte er den Meeresgrund und legte dabei einen immer breiter werdenden Kreis mit abfallenden Seiten frei. Er hatte bereits einen Fuß tief gegraben, dann zwei, während Tate gewissenhaft den Sand untersuchte. Ein Schwarm von Drückerfischen glitt vorbei. Matthew blickte auf und stellte durch die Schlammwolke fest, dass der Barrakuda ihn angrinste.
Instinktiv verlagerte er seine Position. Er war zwar nicht abergläubisch, aber er lebte mit dem Meer, nahm seine Zeichen ernst und kannte die überlieferten Geschichten. Der große Fisch beobachtete sie Tag für Tag aus fast derselben Position. Sicher konnte es nichts schaden, sich von dem Maskottchen leiten zu lassen.
Verwundert sah Tate zu, wie Matthew den Sauger ein paar Fuß weiter nach Norden verlagerte und bereits an einem neuen Loch arbeitete. Sie ließ sich einen Augenblick lang von einem Kaleidoskop aus bunten Fischen ablenken, die im trüben Wasser nach Würmern suchten, die durch den Sauger aufgeschreckt worden waren.
Dann spürte sie ein Klopfen an ihrer Sauerstoffflasche und wandte sich wieder ihrer Aufgabe zu. Das erste Funkeln des Goldes bemerkte sie kaum. Durch das aufgewühlte Wasser starrte sie auf das Sandbett. Doch plötzlich leuchtete es überall um sie herum, wie Blumen, die gerade aufgeblüht waren. Wie hypnotisiert griff Tate nach unten
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