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Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)

Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Squires
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Unschuldige hat gelitten, um es herzugeben?«
    Ein geisterhaftes Lächeln zog über Sincais Lippen. »Oh, unschuldig war er ganz gewiss nicht. Es ist mein Blut.«
    John sah abrupt auf. »Warum?«
    Sincai zuckte die Schultern. John konnte in seinen Augen nichts lesen. »Beatrix könnte Sie brauchen. Das Blut von jemandem, der so alt ist wie ich, wird Ihnen Kraft geben«, sagte er, während er auf den Korridor trat. Die Tür schloss sich hinter ihm.
    John starrte auf den Kelch. Sincais Blut. Warum gab er es ihm? Er musste Beatrix noch immer von Herzen lieben. John seufzte. Natürlich musste er das Zeug trinken. Das war seine neue Wirklichkeit. Was würde er nicht für Beatrix tun? Er schloss die Augen und atmete durch, bereitete sich auf die quälende Würgerei vor, die ihm bevorstand. Es hinauszuzögern hatte keinen Sinn. Er ging zu dem kleinen Tisch und griff nach dem Kelch. Die Vibrationen in seinem Innersten steigerten sich, bis sie wie ein Summen klangen. Sein Blut sang mit ihm, drängte ihn zu trinken. Seine Brust wurde weit, als er den schweren Silberkelch mit den Hirschen und geifernden Jagdhunden darauf an den Mund führte. Wo hatte er dieses Bild schon einmal gesehen? Der Geruch des Blutes stieg ihm in die Nase. Das Lied in ihm schwoll zu einem opernhaften Chorgesang an. Er zitterte, als er den Kelch an die Lippen setzte. Lass mich nicht spucken , dachte er. Er schluckte das dickflüssige Blut. Kupfer! Dickflüssiges Leben! Es lief seine Kehle herunter. Er schluckte krampfhaft. Weit entfernt davon, es wieder ausspucken zu müssen, wollte er ewig so weitertrinken. Das Lied war jetzt tausend Stimmen stark, und er fühlte sich so lebendig, dass er zu platzen glaubte.
    Dann war der Kelch leer. John leckte den Rand des Gefäßes ab und stellte es zurück. Seine Hand zitterte nicht mehr. Das Lied verstummte, aber verschwand dennoch nicht ganz. Es hatte sich in ein Summen verwandelt, das sein Inneres vor Lebendigkeit vibrieren ließ. Er atmete. Das Gefühl der Luft in seinen Lungen schmeckte, wie kühles Wasser einem verdurstenden Menschen schmecken musste. Er wandte sich um und ließ den Blick durch das Zimmer gleiten. Dort stand die Wanne, aus der noch immer ein wenig Dampf aufstieg. Das Feuer knisterte und flackerte in funkelnden Farben. Die Lampen warfen einen sanften Schein über die Rottöne der Vorhänge vor den Fenstern und des Bettes. Gott, wie sehr er die Farbe Rot liebte!
    Er fühlte sich lebendig, so verdammt lebendig. »Verdammt« mochte das treffende Wort sein. Er mochte verdammt sein. Aber er war stark. Und er würde Beatrix retten.
    Er lief die Treppe hinunter ins Foyer, nahm den Umhang, den Mechlin ihm reichte, und stürmte aus der Tür in die Nacht, die dunkel über der von Bäumen gesäumten Gracht lag. Sincai war gerade dabei, sich auf einen schwarzen Wallach zu schwingen. Ein Stallbursche hielt eine nervös tänzelnde kastanienbraune Stute am Zügel.
    »Proviant ist in den Satteltaschen«, rief eine üppige Frau auf Niederländisch von der Tür her. »Und vier Flaschen Weißwein.«
    John schwang sich auf die feurige Stute. Sie würde sein Gewicht mühelos tragen. Man musste wohl ein Mann wie Sincai sein, um zwei so exzellente Pferde im Stall zu haben.
    »Hol die Pferde in Rotterdam in der Groningen Herberg ab«, rief Sincai seinem Burschen zu.
    Sie waren auf dem Weg. Ein leichter Regen setzte ein. Die Pferde waren in den Straßen Amsterdams ein wenig schwierig zu händeln, während sie über die konzentrisch angelegten Ringe aus Grachten ritten. John zog die Schultern gegen den Nieselregen hoch; er war froh, dass Sincai sich in der Stadt auskannte. Es würde ein langer Weg nach Paris sein. Das Summen in ihm sagte ihm, dass er wohl stark genug war, es zu schaffen. Und falls er verflucht war, so war er froh. Er mochte Beatrix an Sincai verlieren. Eigentlich war er sich dessen sogar sicher. Aber sie bekam die Chance zu überleben.
    Zitternd saß Beatrix im Zwielicht. Der Tag war lang gewesen, doch der Abend würde keine Linderung bringen. Denn das war die Zeit, zu der Asharti kam, um sich an Beatrix’ Leid zu ergötzen. Gerade als Beatrix an Asharti dachte, war deren heiseres Lachen auf dem Gang zu hören. Beatrix’ Magen zog sich zusammen.
    »Nun, meine kleine Verschwörerin, es ist Freitagabend. Es bleiben dir nur noch zwei Nächte.« Asharti sprach in der alten Sprache, der Sprache Transsilvaniens aus dem elften Jahrhundert. Sie trug ein Abendkleid aus cremefarbenem Brokat mit breiten, aus

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