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Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)

Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Squires
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Wunden fast sofort heilten. Genau genommen war es nur Ashartis Speichel, die sie daran hinderten, sich zu schließen. Wenn sie ihn irgendwann tötete, würde er vermutlich längst wahnsinnig sein, auf die eine oder andere Art. Asharti meinte, er würde lernen, ihre Behandlung zu lieben. Vielleicht tue er es bereits. Sicherlich sei das eine Form von Wahnsinn.
    Der Gedanke daran, dass John auf unbestimmte Zeit durch Ashartis Hand leiden würde, machte Beatrix rasend. Der Gedanke, dass er beginnen könnte, Gefallen daran zu finden, war sogar noch schwerer zu ertragen. Sie hielt sich die Ohren zu, aber natürlich hörte sie trotzdem jedes Wort. Sie ging hin und her oder schluchzte, sie schlug den Kopf gegen die Zellenwand, weil sie hoffte, der Schmerz würde sie von Ashartis endlosen Schreckensgeschichten ablenken. Es half nicht.
    Da ihre Reaktionen nur dazu führten, dass Asharti diese Geschichten noch triumphierender erzählte, wurde Beatrix still. Sie saß nur noch da, schaute auf ihre Hände und ließ alle Emotionen in ihrem Innern wühlen, ohne sich äußerlich das Geringste anmerken zu lassen. Wenn ihr bewusst wurde, dass sie sich vor und zurück wiegte, vor und zurück, hielt sie inne. Wenn sie merkte, dass sie die Zähne zusammenbiss, zwang sie sich dazu, sich zu entspannen.
    Aber diese Anstrengung forderte ihren Tribut. Sie war so ausgelaugt vom Sonnenlicht, so schwach davon, dass John ihr Blut getrunken hatte, so erschöpft vom Mangel an Nahrung, vom Kampf, sich vor Asharti keine Emotionen mehr anmerken zu lassen, dass sie am Ende einfach auf und davon ging. Ihr Körper mochte sich noch in einer Zelle der Conciergerie in Paris befinden, aber ihr Verstand war an einem anderen Ort. Ihre Gedanken glitten in die Nacht, in der sie mit John durch den Hyde Park geritten war. Sie schweiften weiter zu der Nacht, in der sie sich geliebt hatten, ohne Blut, nur mit ihren Gefühlen füreinander. Er war ihretwegen zurückgekommen, aber nur, weil er noch nicht ganz begriffen hatte, was sie aus ihm gemacht hatte. Und das, was sie aus ihm gemacht hatte, war es auch, was jetzt sein Leiden verlängerte. Manchmal dachte sie über die zweite Unschuld nach, die jetzt so gegenstandslos war. Sie würde niemals wissen, ob sie den Mut aufbringen konnte, naiv zu sein. Sie und John schmorten beide in der Hölle. Sie würde am Sonntag erlöst werden. Er nicht.
    Asharti hatte gesagt, Beatrix würde John bei ihrer Exekution wiedersehen. Eine letzte Folter. Dennoch sehnte sie sich danach, sein liebes Gesicht zu sehen, ehe das Fallbeil heruntersausen würde. Das war egoistisch. Das wusste sie. Aber es wäre ein letzter süßer Schmerz, bevor sie erlöst war.
    Am Sonntagnachmittag stiegen John und Sincai vor einem großen Hotel in der Rue Voltaire von ihren Pferden. Sie befanden sich unweit der Kathedrale, in der seit der Krönung Ludwigs des Frommen im Jahre 815 alle französischen Könige gekrönt wurden. Sie hörten Kirchenglocken, die Kaskaden von Tönen über Stadt und Land erschallen ließen und die Gläubigen von weither herbeiriefen. Um diese Zeit waren die Straßen voll von Menschen, die Besuche machten, und von Arbeitern an ihrem einzigen freien Tag. Zwei Männer wie sie, in Umhänge gehüllt und die Gesichter unter Kapuzen verborgen, provozierten misstrauische Blicke, aber John war zu müde, als dass ihn das kümmerte. Sie ließen die Pferde in der Obhut eines Stallburschen zurück. Drinnen, im halbdunklen Luxus des Hotels, schlugen sie ihre Kapuzen zurück. John nahm den Wollschal ab, den er um die untere Hälfte seines Gesichts gewickelt hatte. Sincai hatte einen solchen zusätzlichen Schutz nicht gebraucht, die Sonne schien ihm nur wenig auszumachen. John fragte sich, ob das mit seinem Alter und seiner Stärke zusammenhing, und versuchte vergeblich, sich zu erinnern, was Beatrix darüber gesagt hatte.
    Sincai wandte sich nicht an den imposant wirkenden Mann, der hinter seinem kleinen, aber reich verzierten Sekretär saß. Er bat keinen der zahllosen Angestellten um Hilfe. Er erwähnte nicht einmal den Namen Khalenbergs, den zu sehen sie diesen ganzen verdammten Umweg gemacht hatten. Er stand einfach nur da. Und er ermahnte John: »Sagen Sie kein Wort. Sie könnten ihn erzürnen. Er hegt keinerlei Sympathie für mich und wird für Sie noch weniger übrig haben.«
    John schluckte. Sincai schien allzu besorgt. Hatte er Angst? Die Hotelangestellten starrten ihn an, aber niemand wagte es, sich ihnen zu nähern. John war fast schon

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