Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
gebracht habe. Befreien Sie die Welt von allen geschaffenen Vampiren. Laut Beatrix dürfte das der einzige Weg sein, wie ich sterben kann. Sie würden mir einen Gefallen damit tun und dem Rest der Welt auch.«
»Ich überlege es mir.« Sincai sah wieder nachdenklich aus.
John biss die Zähne zusammen; er musste sich beherrschen, dem Mann nicht mit der Faust einen Kinnhaken zu verpassen. »Wie leicht ist es doch, zu denken! Schwerer ist es, zu handeln.« Er schaute sich wütend in dem elegant eingerichteten Zimmer um. »Wenn ich es bin, der Sie stört, dann geben Sie mir Ihr Wort, dass Sie sie retten werden, und töten Sie mich hier und jetzt. Ich werde Ihnen sagen, wo sie ist … wohin Sie gehen müssen …« Er verstummte. Sincai hatte einen in die Ferne gerichteten, leeren Ausdruck in den Augen. Welches Druckmittel hatte er schon, diesen Mann dazu zu bringen, sich … zu bewegen , dieses Haus zu verlassen, jetzt sofort, und zu Beatrix zu gehen? John wandte sich um, um zu sehen, worauf Sincai starrte. Es schüttelte ihn, buchstäblich. Da hing ein kleines Porträt, nicht mehr als dreißig Zentimeter im Quadrat, von einer Frau, die ganz ohne Zweifel Beatrix war, gemalt in dem schlichten Stil, der für die byzantinische Malerei typisch war. Sie trug ein rotes Kleid mit stilisierten Falten und einem eckigen Ausschnitt. Um ihren Kopf strahlte ein goldener Schein. Beatrix als Heilige oder Madonna.
»Ein vernarrter Künstler hat das 1312 gemalt. Religiöse Kunst war die einzig erlaubte zu jener Zeit. Ich habe ihn zu einem reichen Mann gemacht.« In Sincais Stimme lag so viel Trauer, wie John es noch nie gehört hatte.
Er hielt den Atem an. Der Mann liebte Beatrix. Reichte das nicht, um der Dumpfheit entgegenzuwirken, die ihn zu umhüllen schien?
Langsam setzte Sincai das Glas und den Dekanter auf dem kleinen Tisch ab. »Sonntag, haben Sie gesagt?«
John nickte.
Sincai erhob sich und ging zur Tür. »Dann ist kein Augenblick zu verlieren.« Energie erfüllte das Zimmer in fast schmerzhafter Dichte. »Können Sie noch? Wenn nicht, bleiben Sie hier und warten Sie auf meine Rückkehr.«
Johns Gefährte strömte durch seine Adern, als Erleichterung ihn durchflutete. »Ich werde Sie begleiten.«
Kapitel 22
S incai erteilte Mechlin eine ganze Reihe von Instruktionen. Zwei Pferde wurden beim Namen herbeigerufen, Sandwiches zum Mitnehmen wurden bestellt, und sein Kammerdiener sollte John mit Seife und heißem Wasser versorgen und Kleider zum Wechseln für ihn bereitlegen. John protestierte.
»Ich reite nicht mit einer Vogelscheuche«, erklärte Sincai daraufhin entschlossen, »und auch nicht mit jemandem, der darüber hinaus noch riecht. Es wird ohnehin ein paar Minuten dauern, unsere Abreise vorzubereiten.«
John machte den Mund auf und schloss ihn wieder. Er war am Leben. Sincai war auf dem Weg, Beatrix zu retten. Und um die Wahrheit zu sagen, er war erschöpft. Vielleicht zehn Minuten Katzenwäsche mit einem dampfend heißen Handtuch würden helfen, seine Sinne beisammenzuhalten. Die Rückreise würde lang werden. »Wie Sie meinen.«
Ein ernster und missbilligend aussehender Lakai führte John einen Flur entlang zu einem luxuriösen Schlafzimmer, das in Braun- und Goldtönen gehalten war. Im Kamin brannte ein Feuer, und davor stand eine Sitzbadewanne. Ein ganzes Heer von Dienstboten, Männern, Mädchen und Jungen marschierte ins Zimmer, und jeder trug einen Eimer mit dampfendem Wasser. John stand der Mund offen. »Wann … woher wussten Sie …?«
Die Dienerschar leerte ihre Eimer in die Wanne. »Mijnheer Sincai wünscht, dass heißes Wasser zur Verfügung steht, wann immer er ein Bad zu nehmen wünscht«, erklärte der Kammerdiener, während er John kritisch beäugte. »Ja. Ich denke, es wird gehen.« Er neigte den Kopf, wenn auch nur um wenige Zentimeter. »Ich werde Ihnen passende Kleidung bringen.«
Der letzte Dienstbote war ein Mädchen mit Haube und weißer Schürze, das Seife und zwei große Handtücher neben die Wanne legte. Sie hatte kaum leise die Tür hinter sich geschlossen, als John seine Kleider ablegte. Das Bad war so heiß, dass ein Prickeln seinen Rücken herunterlief. Darauf bedacht, sich zu beeilen, seifte er sich ein und schrubbte sich unbarmherzig, dann tauchte er unter und wusch sich den Reisestaub aus den Haaren. Anschließend stand er tropfnass auf. Er fühlte sich sehr lebendig.
Nach einem kurzen Klopfen an der Tür betrat Sincai das Zimmer, der bereits fertig angekleidet für die Reise
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