Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
Goldfäden gestickten Zierstreifen im Empirestil. Das Gold und die Brillanten um ihren Hals waren ein Vermögen wert. Ihr dunkles Haar war streng aus dem Gesicht frisiert und hochgesteckt, was ihre Wangenknochen und ihre Mandelaugen betonte.
Beatrix schwieg. Sie würde ihrer Feindin nicht die Genugtuung einer Antwort geben.
Asharti lächelte spöttisch. »Du bist so schweigsam geworden. Es gab Zeiten, da wolltest du nichts anderes als reden. Darüber reden, was wir mit der Welt zu unseren Füßen anfangen könnten, über unser Utopia, das wir planten, und über eine neue Gesellschaft.« Ihr schien ein Gedanke zu kommen. »Jetzt bin allein ich es, die die Zukunft für die Welt plant, nicht du.«
Beatrix sah sie aus müden Augen an. Ihre Kleider waren schmutzig. Sie war darüber hinaus, etwas essen zu müssen, aber sie konnte nicht mehr stehen, ohne zu schwanken. Also saß sie und starrte ihre Widersacherin stumm an.
»Ramon sagte mir, dass du dich in dein Schicksal fügst. Du seiest bereit zu sterben.«
»Wie kann Ramon irgendetwas von mir wissen?«, brach es aus Beatrix heraus.
»Du redest im Schlaf.« Asharti lächelte. Es war kein sehr anziehendes Lächeln. »Du kennst dein Problem?«, fragte sie, während sie vor den Gitterstäben hin und her ging. »Du hast einfach kein Interesse mehr am Leben. Du hast kein Verlangen mehr, begehrst nichts mehr. Du hast auf nichts Hunger .« Sie blieb stehen und wandte sich Beatrix zu. »Ich will alles. Es hält mein Interesse am Leben wach. Es erhält mich stark.«
»Wenn du denkst, dass dich das zu etwas Besonderem macht, dann irrst du«, stieß Beatrix hervor.
»Also ist es wahr!«, sagte Asharti triumphierend. »Nun, ich wette, du warst kurz davor, dich nach Mirso zurückzuziehen.«
Beatrix war dankbar, dass sie vermutlich zu blass und zu erschöpft war, um zu erröten. Mehr als alles andere wollte sie Asharti dieses Grinsen aus dem Gesicht wischen. »Im Gegenteil, ich war dabei, ein kleines Problem zu lösen, das mich interessiert hat.«
Asharti zog die Augenbrauen hoch. »Oh. Du redest davon, dass du deinen Engländer nach Frankreich verfolgt hast.« Sie kicherte. »Oje. Wir waren an einem Mann interessiert, und das hat unserem Leben Sinn gegeben. Was für ein Kleingeist du doch bist.«
»An die Liebe zu glauben ist nicht kleingeistig.« Ihre Stimme klang unsicher in ihren Ohren, als sie diese Worte sagte.
»Es ist das Kleinste, liebe Schwester, das Kleinste überhaupt, daran zu glauben.«
»Nur weil du nie geliebt hast.« Touché.
»Ich wette, du warst tausend Mal verliebt«, höhnte Asharti. »Das wäre genau das, was du bist. Naiv.«
Beatrix schaute hoch in das stolze, spöttische Gesicht, und alles war ihr auf einmal ganz klar. »Nein«, sagte sie bedächtig. »Seit Stephan habe ich nie mehr geliebt. Ich hatte den Mut dazu verloren.« Asharti wollte etwas einwenden, aber Beatrix hob die Hand. Etwas an ihrem Gesichtsausdruck schien Asharti dazu zu bringen zu schweigen. »Nein, nein, mir ist das gerade eben erst klargeworden. Du hast recht. Es ist naiv, an die Liebe zu glauben, nachdem man gesehen hat, dass alle Formen der Liebe zum Scheitern verurteilt sind. Liebe, zerstört vom Tod. Liebe, verblüht im Alter, Liebe, beraubt ihrer Leidenschaft durch belanglose Nichtigkeiten oder Langeweile. Obwohl ich mir sagte, sie sei nichts für mich, habe ich sie doch bei anderen gesehen. Aber es liegt Mut in dieser Art von Naivität. Ich … ich denke, es könnte eine zweite Unschuld sein.« Sie starrte Asharti an, ohne sie zu sehen. Stattdessen sah sie William Blakes kindliche Zeichnungen von Sternen und Sonnen und Tieren vor sich, hörte sein Erstaunen über das Ebenmaß der Tiger.
Asharti schien verblüfft zu sein. Dann blitzte Hass in ihren Augen auf, und er verwandelte ihre Gesichtszüge in eine Maske, die fast keine Ähnlichkeit mehr mit der jungen Frau hatte, die Beatrix vor siebenhundert Jahren gekannt hatte. »Nun, du wirst einen anderen Liebhaber finden müssen. Aber ich vergaß – du wirst dazu keine Zeit mehr haben. Vermutlich verstehe ich deine Faszination. Der Engländer ist erfahren und gut gebaut. Gestern Nacht hat er mich geleckt, bis ich geschrien habe. Und er wehrt sich so vehement gegen die Kraft der Suggestion. Es ist höchst befriedigend.«
Beatrix rang darum, sich nicht gegen die Gitterstäbe zu werfen. »Du hattest ihn nicht.«
»Ich hatte ihn zwei Tage lang.« Asharti spie die Worte fast aus. »Ich wollte damit warten, es dir zu sagen, bis
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