Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
wurde er blass. »Falls ich einer Frau von deiner Erfahrung für ein paar Jahre gefallen kann, dann würde mich das …« Er senkte tatsächlich den Blick. »Es würde mich sehr glücklich machen.«
Sie schloss die Augen, denn zum zweiten oder dritten Mal in dieser Nacht standen Tränen darin. Vielleicht würde es wirklich nicht mehr als das sein, was er gesagt hatte – ein paar Jahre in einem sehr langen Leben. Sie war es vielleicht nicht wert, sehr lange zu lieben oder geliebt zu werden. Sie konnte ihn anlügen und es ihm für immer versprechen. Oder sie konnte ihn zugrunde richten, indem sie ihm die Wahrheit sagte. Aber was war die Wahrheit? Bestand sie darin, dass sie es nicht schaffen würden, die Liebe am Leben zu erhalten? Stephan glaubte, sie würden es schaffen. Und sie würde nicht aufhören, es zu versuchen, selbst wenn sie den Schmerz über die vielen Male, die sie verlassen worden war, noch immer fühlte. Den Schmerz, der ihr sagte, dass sie es nicht wert war.
Stephan hatte sie geliebt. Heute Nacht hatte er es ihr gesagt. Sie war es, die ihn verlassen hatte. Sollte sie sich schuldig fühlen, oder war das nur ein Weg von vielen gewesen, den ihre Liebe hätte gehen können? Und Asharti? Am Ende hatte sie Asharti verlassen. Damals hatte jene Wunde zu heilen begonnen, die ihr zuerst und vor allem von ihrer Mutter zugefügt worden war. Vielleicht war es das. Es hatte nur sechshundert Jahre gedauert. Dieses allererste Verlassenwerden mochte ihre Sichtweise auf Jahrhunderte hinaus beeinflusst haben. Es konnte ihr die Dunkelheit gebracht haben. Alles, woran sie geglaubt hatte, war auf den Kopf gestellt worden.
Alles, was sie tun konnte, war dies: zu geloben, dass sie den Mut haben würde, wieder so treuherzig wie ein Kind zu sein.
Ihr Atem war flach. Konnte sie es sagen? Oder konnte sie es nicht? »Ich denke, ich werde meine Chance am Schopfe packen. Ich halte es mit Blake und sage dir: Ich liebe dich, John, so lange, wie es dauern wird.«
»Die zweite Unschuld?«, fragte er, und seine Miene verriet, dass er sich fast davor fürchtete, ihr zu glauben.
Sie nickte. »Willst du es mit mir riskieren?«
Er stieß die Luft aus und entspannte sich, als wäre es eine Anstrengung. Sein Blick wurde weich. Ein winziges Lächeln lag auf seinen Lippen. »Ich habe wirklich ein verteufeltes Glück.«
Sie lächelte. Eine Sicherheit leuchtete aus ihr. »Ich auch.«
»Dann ist es also beschlossen?« Er schluckte und nahm sie in die Arme. Sie spürte sein Herz an ihrer Brust klopfen, sein Blut strömte durch seine Adern, erfüllt vom Gefährten, der ihnen immer und immer geben würde, ob sie die Früchte nun zusammen pflückten oder nicht. Das Risiko fühlte sich gut an.
Sie legte John die Hände auf die Schultern, richtete sich auf und neigte den Kopf zur Seite. »England?«
Er schüttelte den Kopf. Sie erkannte, dass es dort noch zu viel Schmerz für ihn gab. Sein früheres Leben war nicht länger möglich. Sie sah, dass er sich wieder fasste. Dann hob er das Kinn. »Khalenberg zieht in Österreich die Fäden. Vielleicht kann er Bonaparte davon überzeugen, dass eine Invasion in Russland eine gute Idee ist.«
Beatrix lächelte ihn zärtlich an. Sein Idealismus, trotz allem, was er erlebt hatte, war eine der Eigenschaften, die sie an ihm liebte. »Du meinst, den Menschen Europa zurückzugeben? Ich verstehe. Ein schwieriges Unterfangen. Ich werde mich wohl mit der Politik anfreunden müssen, oder?«
»Du könntest es versuchen.« Es klang ganz ruhig, und doch sagte es so viel darüber aus, wie ihr Leben miteinander sein würde, was in der Welt zu bewirken sie versuchen würden.
»Du hast einen Hunger in dir, John Staunton, den ich bewundernswert finde. Die zweite Unschuld – es gibt sie. Alles ist möglich.«
Als sie später durch das Querschiff der Kathedrale gingen, legte John den Arm um Beatrix. »Also zunächst nach Reims zu Khalenberg und danach … Wer weiß?«
Susan Squires wuchs in Kalifornien auf und studierte an der UCLA englische Literatur. Nachdem sie jahrelang einen »ordentlichen« Job ausgeübt hatte, entdeckte sie ihre Liebe zum Schreiben wieder. Ihre außergewöhnlichen Liebesromane wurden mehrfach für Romance-Preise nominiert.
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