Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
war. In einer Hand trug er ein Paar glänzend polierter kniehoher Stiefel, über dem Arm einige Kleidungsstücke und in der Hand einen Kelch aus gehämmertem Silber. John konnte das Blut darin riechen. Sincai sah John kurz an, legte die Kleider aufs Bett und stellte den Kelch auf den Nachttisch. John errötete, stieg eilig aus der Wanne und wandte Sincai den Rücken zu. Das Herz pochte in seiner Brust, und eine schreckliche Gier stieg in seinen Venen auf. Er konnte kaum noch atmen. Sincai brachte ihm Blut! Vor Übelkeit drehte sich ihm der Magen um. Denk nach, Mann! John schüttelte den Kopf. Denkst du, du kannst sie retten – in dem Zustand, in dem du dich befindest? Also gut, dann sei es , gab er sich selbst die Antwort. Dann soll es eben Blut sein.
»Halte ich Sie auf?« Johns Stimme zitterte kaum. Er griff nach dem Handtuch und trocknete sich rasch ab. Ihm war bewusst, dass Sincai die Narben auf seinem Körper gesehen hatte, auch jene, die Asharti auf seinen Lenden und seinem Po hinterlassen hatte. Er zwang das Verlangen nieder, zum Tisch zu gehen und den Inhalt des Kelches herunterzustürzen, und schlang sich das Handtuch um die Hüften.
»Nein, mein Stallknecht muss noch die Pferde bringen. Sie haben also Zeit.«
John wandte sich um. Sincai saß auf dem Bett, neben den Kleidungsstücken, die er darauf abgelegt hatte. Der Blick des Mannes glitt langsam über Johns Körper. John hob das Kinn und versuchte, den Ruf des Kelches zu überhören. »Die Narben sind nicht von Beatrix, falls es das ist, was Sie sich fragen. Sie stammen von Asharti«, sagte er hölzern. »Diese hier waren bereits verheilt, als ich infiziert wurde.«
»Sie scheinen in der Tat viele Narben zu haben«, bemerkte Sincai und warf ihm ein frisch gebügeltes Hemd zu. Es roch nach der Seife, mit der es gewaschen worden war. John zog es an.
»Ich bin mit verschiedenen Arten von Stahl vertraut.« John griff nach der Hose, seine Hand zitterte. Das Auspeitschen erwähnte er nicht. Sincai musste auch diese Narben gesehen haben.
»Mir ist der Gedanke durch den Sinn gegangen, dass Sie mich in eine Art Falle locken könnten. Die beiden können keine Liebe zu mir empfinden.«
Machte der Mann einen Rückzieher?, fragte sich John. Alles, was er gesagt hatte, konnte ebenso gut auch Sincais Standpunkt bekräftigen, wenn man es von einer anderen Warte aus betrachtete. Er starrte zu Boden und versuchte, trotz des Stechens in seinen Adern nachzudenken. Der kleine Zettel mit Beatrix’ kurzen Zeilen, den er in der Innentasche des zimtfarbenen Mantels an seinem Herzen getragen hatte, lag auf dem Teppich. Er hatte diesen kleinen Fetzen Papier bei jedem Halt, den er hatte machen müssen, um etwas Wasser zu trinken und etwas zu essen, herausgezogen und gelesen. Er bückte sich, hob ihn auf und warf ihn Sincai zu.
Stephan Sincai schaute aufmerksam auf den Papierfetzen, dann glättete er die Falten und las. »Es ist vielleicht nicht ihre Handschrift«, sagte er leise. Seine Mundwinkel zeigten nach unten, zweifelnd zog er die Brauen zusammen. »Ich kann mich nicht daran erinnern.«
»Sie würden sie ohnehin nicht erkennen. Sie hat mit ihrem Fingernagel und Granatapfelsaft geschrieben. Asharti hat leider nicht geruht, ihr eine Schreibfeder zur Verfügung zu stellen.«
Sincai holte tief Luft. Er schaute zu John hoch, neigte leicht den Kopf und erhob sich dann. »Klingeln Sie, wenn Sie nicht in den Rock kommen. Ich habe ihn getragen, wenn ich auf der Jagd war, deshalb ist er mir ein wenig weit. Talmere meinte, er sollte Ihnen passen.« An der Tür wandte er sich noch einmal um. »Wenn mein Gefährte so hungrig war, wie Ihrer es jetzt ist, hätte ich den Kelch dort in dem Augenblick geleert, in dem er auf den Tisch gestellt wurde. Versuchen Sie vielleicht, Ihren Bedürfnissen zu widerstehen? Falls es so ist, dann sind Sie ein Narr. Sie waren schwach, als Bea Sie geschaffen hat, und Sie haben die Abwehrreaktion Ihres Körpers erst vor wenigen Tagen überstanden. Sie könnten zu einer Belastung werden.«
»Sie haben meine Erlaubnis, mich zurückzulassen, wenn ich nicht mit Ihnen mithalten kann.« Johns Stimme klang angespannt.
»Ich brauche Ihre Erlaubnis nicht » , bemerkte Sincai sanft.
John zog die Hose über die Unterwäsche und stand auf. »Dann verstehen wir uns ja.«
»Trinken Sie meine kleine Gabe«, sagte Sincai. »Sie werden sie als wohltuend empfinden.«
John stieg in die Stiefel; dabei vermied er tunlichst, auf den Kelch zu schauen. »Und welcher
Weitere Kostenlose Bücher